Während des Kulturprogramms, das auf Initiative des arabischen Kulturhauses ”Divan” die erste arabische Buchmesse in Berlin begleitete, trafen wir uns unter dem Dach des wunderschönen Madjlis-Zeltes, das im Park des Divans errichtet wurde. Innerhalb dieser Dialogplattform, auf der eine Reihe von Schriftstelle- rinnen ihre neuesten Veröffentlichungen signierten, lernten wir eine Autorin aus der katarischen Hauptstadt Doha kennen, die ihr Buch auf interessante Weise präsentierte und mir ein Exemplar ihres Werkes schenkte.
Ihr Werk nahm mich auf eine Reise voller Standhaftigkeit mit und ließ mich ein dorniges Feld betreten. Ich war gespannt darauf, sie und ihren beruflichen und kreativen Werdegang kennenzulernen. Das Verfassen meiner Biografie hat mir gezeigt, wieviel Kühnheit eine Frau aufbringen muss, um über sich selbst zu schreiben, abgesehen von der Herausforderung dies auf eine kreative Art und Weise zu schaffen.
Das Buch ”Wenn die Palmen erscheinen”1, wurde im Jahr 2022 in Doha veröffentlicht. Es war das Jahr, in dem ein Virus die Welt veränderte und der Schriftstellerin Dr. Huda Al-Naimi die Möglichkeit gab, jede Minute in das Schreiben zu investieren. Diese Biografie zählt zu einer der ersten Biografien, die von einer katarischen Frau veröffentlicht wurde, was viele weitere katarische Frauen dazu motiviert hat, ihre Geschichten in Biografien zu verarbeiten, Schubladen zu öffnen und Verborgenes zu verschriftlichen und ans Licht zu bringen. Das ist es, was die Schriftstellerin hier erreicht hat, als sie die Landschaften zwischen Doha und Wien hat Revue passieren lassen, während weitere Geschichten von Frauen im Sudan handeln, zu denen ich mich ebenso zugehörig fühle wie zu den Frauen der Palmen in Katar.
Biografie und Kontexte
Das erfolgreiche Verfassen einer Biografie zeigt sich in der Einbettung in den gesellschaftlichen Kontext kenntlich. Die vorliegende Biografie trug mich auf den Flügeln der Nostalgie – von meinem Platz in Wien, wo das Palmenhaus im Schloss Schönbrunn nicht weit von mir entfernt, ist bis in den Sudan und nach Doha, wo ich uns als Kinder spielen sah und wir Spaß hatten, bis wir dann den höheren Bildungsweg einschlugen. Der Schriftstellerin ist es gelungen, die enge Verbundenheit mit ihrem Land darzustellen. Sie sagt: ”Die Delegation meines Landes ist der Ansicht, dass die vorgeschlagene Änderung dazu führen würde, dass die Vereinbarung über die Verwendung von Quecksilber und seinen Derivaten und Entsorgungsmitteln weltweit nicht umsetzbar wäre (…)”2. Mit diesen Worten begann sie ihre Biografie und erhob sie ihre Stimme im Saal der Konferenz der Vereinten Nationen in der kenianischen Hauptstadt Nairobi. Die zarte Stimme des kleinen Mädchens, die in der Palmenstadt Doha aufblühte, um den Kopf zu heben und in die ferne Welt zu schauen, insofern als sie nun ihr Land auf UN-Ebene vertrat.
Es ist dasselbe Kind, das eifrig zusieht, wie die Quecksilberkugel auf dem Labortisch rollt. Jene kleine Kugel, die die Kleine auf Schritt und Tritt, seit ihrem ersten Fieber, den die Krankenschwester gemessen hat, begleitete.
Auf diese Weise nimmt uns die Autorin in ihre Kindheit im Rayyan-Viertel mit und zeigt uns die Details ihres Alltags, der Vorbereitung auf die Schule und der Rolle der Mütter dabei. Eine Kindheit, die mit ihren freudigen Entdeckungen begann, wie der Herstellung von Elektrizität und der Erzeugung von Licht, wobei sie die Elektrizität nicht verstand.
Das Mädchen, das uns detailliert in die Welt ihres Alltags mitnimmt, betrat mit der gleichen Leidenschaft für das Wissen das Schultor. Die Kindheit der Schriftstellerin brachte mich zurück in meine Kindheit, und ich sah mich zwischen den Zeilen, mit den gleichen weißen Haarbändern im Haar, die die Zöpfe jenes Mädchens schmückten, das aufwuchs und sich als erste katarische Frau auf dem wissenschaftlichen Gebiet der Strahlenphysik spezialisierte, um zukünftig Abteilungsleiterin dieses Bereichs am Hamad Medical Corporation Institut zu werden. Dasselbe Mädchen, das jetzt ein Sabbatjahr nahm, nachdem es den Weg für andere Frauen auf diesem Gebiet geebnet hatte. Die ersten Lernschritte und Öffnen von Türen des Wissens sind ein Hinweis auf die Entwicklung der Bildung in Katar, wo die Autorin ihre ersten wissenschaftlichen Errungenschaften feierte. In diesem Zusammenhang erinnere ich mich an meinen Besuch in Doha im Jahr 2005, als ich mit meinen Studierenden im Rahmen meiner Tätigkeit als Teilzeitdozentin an der Fakultät für Politikwissenschaft der Universität Wien im Zuge des Seminares ”Wir und die Anderen” einen wissenschaftlichen Ausflug unternahm, in dem die Medienberichterstattung von europäischen Sendern und vom Nachrichtendienst Al-Jazeera über den Irak-Krieg verglichen wurde.
Im Vorfeld führte ich eine Umfrage über ihre Vorstellungen von Katar durch, dessen Ergebnis viele Vorurteile über Katar und insbesondere über Frauen in Katar bestätigte. Eine der Studentinnen trug eine Matte mit sich und als ich sie danach fragte, antwortete sie: ”Um in der Wüste darauf zu schlafen.” Die Überraschung sprang aus ihren Augen, als wir am Flughafen von Doha einen geschmückten Weihnachtsbaum und Studentinnen aus Katar an der Philosophischen Fakultät fanden, die über viel Wissen und die kulturellen und sozialen Kompetenzen verfügten, um den Dialog mit den anderen erfolgreich zu führen. Dieses Projekt kam mir wieder in den Sinn, als ich die Biografie der Schriftstellerin Huda Al-Naimi las, wie andere ihrer Generation das Wissen aus neuen Quellen schöpften und mit unbegrenzter moralischer und materieller Unterstützung ihres Herkunftsstaates gesegnet waren.
Die Biografie spiegelt das Ausmaß der Entwicklung der Bildung und einiger Frauen, die mit ihren Biografien ihre Herkunft in internationalen Foren repräsentieren. Gemessen am kritischen Denken ist dies ein Indikator für das Niveau, das Katar in den Reihen der entwickelten Länder erreicht hat. „Eine Mischung von Nationalitäten umgab uns, wir lernen von ihnen und sie lernen von uns und lernen uns kennen, da sie nichts über die katarische Gesellschaft wussten, außer dem weißen Kleid für Männer und der schwarzen Abaya für Frauen. Sie waren weit von dem entfernt, wo wir sind, also habe ich mich ihnen mit offenem Herzen und dem Bewusstsein für die dornigen Grenze zwischen uns genähert”3. Noch rollt die Quecksilberkugel vor dem kleinen Mädchen, und Al-Mutanabbis Gedicht hallt im Arabischunterricht wider:
”Das Pferd, die Nacht, die Wüste, sie kennen mich,
das Schwert, der Speer, die Feder und Papier, sie kennen mich”.
Es ist das Briefpapier und der Stift, die dem Schulsender seinen Namen gaben, unter dem er den fleißigen Mädchen und allen anderen bekannt war. Das Radio ertönte in Häusern und Büros, und die Stimme von Abdel Halim Hafez sang: ”Und das Leben und die Freuden meines Herzens. Wir gratulieren ihm am Abend und Morgen. Ich fand auf der Welt keinen, der so glücklich ist wie der, der sich seines Erfolgs erfreut”.
Das Herz des kleinen Mädchens ist voller Freude über den Erfolg, die in den Augen ihrer Mutter leuchtete, die die wahre Schule des Mädchens war und sie darauf vorbereitete, ein Juwel der katarischen Familienhäuser zu sein, um sich selbst und ihrem Land zu nützen. Die Autorin nimmt den Leser auf eine Wanderung durch Orte und Zeiten, die sich mit den Orten und Zeiten in der Vorstellungskraft des Lesenden überschneiden und ihn/sie in seinen/ihren frühen Tagen auf dem Pfad der Wissenschaft zurückversetzen, insbesondere zum vertrauten Konflikt der Entscheidung zwischen der Natur- und Geisteswissenschaft. So vermischten sich die Natur- und Geisteswissenschaften auf dem Weg der Palme miteinander.
An der Universität von Katar erhielt die Schriftstellerin die ersten akademischen Abschlüsse und die Federn ihrer Flügel wuchsen, um für ihre postgraduale Bildung nach Ägypten zu fliegen. Sie ging ihre ersten Schritte auf den Fluren des Hamad General Hospital in einer Gruppe von fünfzehn jungen Frauen, die sich in der Blüte ihrer Anfänge befanden. Ist diese Biografie nicht somit eine wichtige Referenz für die radikalen Veränderungen, die sich in den Reihen der Wissenschaft und Arbeit im Land vollzogen haben? Das Land straffte ihre Flügel, damit sie fliegen kann und schließlich dorthin zurückkehren, wo die ersten Palmen in der Nachbarschaft des Rayyan-Viertels standen, um ihrem Land etwas Dankbarkeit zurückzugeben.
Die Meere des Wissens und die Anfänge des Bewusstseins
”Ich lernte, den anderen als eine Lektion fürs Leben zu akzeptieren. Diese Vielfalt motivierte mich, mehr über die Drusen, die Ismailiten, die Bahai, den Ahmadiyya und anderen Welten zu lesen. Welten, dessen Existenz mir nicht bewusst war und ich ertappte mich dabei, wie ich bis zur Erschöpfung in ihre Einzelheiten eintauchte“4. Das Buch füllte sich mit reichen und vielfältigen Erfahrungen der Autorin über das Kennenlernen verschiedenster Völker und Glaubensrichtungen, während sie ihr Land wie eine Palme im Herzen trug. In dieser Biografie reist die Autorin mit dem Leser in ferne Länder, beginnend mit ihre Postgraduiertenstudium in Ägypten. Sie erfuhr über Frauen in verschiedenen Welten, wie die Geschichten von Wahiba, Umm Sayed und Umm Rabie, die das Studentenwohnheim des Kulturkonsulats der katarischen Botschaft in Kairo betreuten. Es sind Geschichten, die auf die Fähigkeit der Autorin hinweisen, sich dem anderen zu öffnen. Jede dieser Geschichten kann zum Schreiben einer realen oder virtuellen Biografie inspirieren, die auf all den Erzählungen basiert, die schwer vom Kontext der Biografie der Schriftstellerin Dr. Huda Al-Naimi trennbar sind. Als ob sie damit ausdrücken möchte, dass sie eine Botschafterin ihrer arabischen Kultur für die Menschheit ist.
Sie nimmt einen auf eine Reise durch die Stapel von Büchern und Quellen auf der ganzen Welt mit, sei es Ost und West oder Nord und Süd. Es ist diese kleine Kugel, die immer noch vor ihr rollt und sie mit ihrem Farbenspektakel fasziniert, die der Biografie die Vielfalt schenkt.
Die ersten Experimente wurden durch Mark, den deutschen Ingenieur, der für die Wartung der Geräte verantwortlich war, durchgeführt. Er betrachtete uns mit Herablassung und wandte sich, wenn er sprach, stets zum Oberarzt Lavander.
Als er einmal die Bürotür offen ließ hörte ich Lavander zu ihm sagen: ”Huda wird diese Gleichung berechnen. Woraufhin Mark antwortete: Kann dieses Mädchen die Gleichung denn entschlüsseln? Vertraust du ihr?” Er antwortete, ohne zu zögern mit ”Ja”5. So lautete die Lektion, nicht vor der Herausforderung wegzulaufen, die nicht die Lösung der Gleichung war, die im Vergleich zu anderen Gleichungen einfach war, sondern sich der Stereotypisierung mit Selbstbehauptung zu stellen.
Daraufhin kommen viele Informationen, die mit Medizinphysik zusammenhängen, oder mit Ländern wie Montpellier und der Glaube eines Vaters, der an den Wert der Wissenschaft glaubt, vor. In dieser Zeit musste die Autorin einen Teil ihre Abschlussarbeit für höhere Studien abschließen. Somit nimmt die Autorin den Lesenden auf eine Reise in die Welt der Algerierin Zainab und der Familie ihres Französischlehrers, der sie und ihren Vater zu einem Essen mit seiner Familie eingeladen hat. In Welten von Menschen, die durch die Biografie aufgezeigt wird, dass der Mensch Mensch ist. Die Biografie brachte uns auch nach Kuwait, ”Kuwait, meine Liebe” und führte uns zurück in Zeiten des Krieges, Saddam Husseins Invasion in Kuwait und die Angst und Panik, die die Menschen heimsuchten. Es ist der Krieg, der mit seinem hasserfüllten Gestank die Orte beschmutzt. Im Hauptteil der Biografie wird auf die Biografie der Vorfahren und ihre Techniken zur Trocknung von Lebensmitteln und deren Haltbarmachung in Zeiten des Krieges auf Kuwait Bezug genommen. Darüber hinaus spiegelte ihre Biografie die Rolle der Kunst wider. Insbesondere ging sie auf die Stimme des Künstlers Abdullah Ruwaished ein, der ”Oh Gott, kein Einwand, Oh Gott, kein Einwand” des großen ägyptischen Dichters Abdul-Rahman Al-Abnudi (1938-2015) sang. Die Autorin ruft in das Gewissen der Lesenden die Werte der Fürsprache zwischen den Völkern ein, und lässt den Leser die Angst und Erwartung durchleben, als die US-Invasion unter einem fadenscheinigen Vorwand im Irak am 16. Januar 2003 begann, der nicht das wahre Motiv für den Krieg war.
Die Menschen sind in der Lage, ihre Konflikte jenseits von Raketen zu lösen, die aus dem fernen Ozean kommen, was Fragen zu Reichtum und Macht und den weltweiten Kampf aufwirft. ”Der amerikanische Präsident hat seinem Volk bewiesen, dass er der Weltpolizist ist und dass der Knüppel an denjenigen genutzt wird, die ungehorsam sind”6.
Dieser Aspekt der Biografie führt uns zu dem Punkt, wo sich Saddam Hussein bei Kuwait für seine Rücksichtslosigkeit entschuldigte, und dem Leser dieser Biografie kommt folgende Frage in den Sinn: Entschuldigt sich die USA für das, was sie anderen Völkern für im Zuge der eigenen Interessen angetan hat?
Die Empathie mit dem kuwaitischen Volk ist die Empathie und Solidarität mit dem irakischen Volk, als es mit der Tortur der amerikanischen Invasion konfrontiert war. Auf diese Weise lehnt die Autorin den Krieg ab und beweist ihre prinzipielle Position zugunsten des Friedens, der zu ihren Werten gehört und mit dem sie im Rayyan-Viertel aufgewachsen ist, inmitten der Palmen und der Perlen des Golfs. Es ist keine Biografie aus der Perspektive des Geografen Ptolemäus, sondern aus der Sicht einer katarischen Frau, die zwischen dem Rayyan-Viertel, dem Duhail-Viertel und der Khalifa Educational City geboren und aufgewachsen ist.
Die Biografie erzählt Geschichten aus Ägypten und über das ägyptische Volk während der Zeit des Studiums in einer Art und Weise, die der Lesende lebhaft nachempfinden kann. Die Autorin betont diese sehr stark, als ob sie einen dazu anregen möchte, sich an die Bedeutung zu erinnern, die im Koran über Ägypten als ein Land der Sicherheit enthalten ist, ”es in Frieden und Sicherheit zu betreten”7, und durch das Tor der Freundschaft eintreten. Ebenso erwähnt sie ihre Gefährtin May Farrag und die Einzelheit ihrer Freundschaft, in dem die Frauen die Spiegel ihres Landes sind.
So, wie sie über die literarischen Abende und Seminare und über die Damaskusstraße Nummer 9 auf der Mohandessin Straße sprach, wo sich die Schriftstellerin zwischen Zahra, Zakia und Kalthum wiederfand, Pionierinnen des literarischen Schreibens aus Katar, oder wie die Schriftstellerin sie nannte, ”Blumen des Schreibens”. So war ich gespannt darauf, die literarischen Werke dieser Schriftstellerinnen nachzulesen. Die Biografie ist voller Wissen in verschiedenen Formen, so als hätte die Schriftstellerin zum Ziel gehabt, ihren ersten Traum zu verwirklichen, während sie zwischen dem natur- und geisteswissenschaftlichen Studium hin- und herschwankte, und beides kombinierte. Die Autorin weckt das Interesse am Vortrag ”Ein Blick auf die katarische Literatur”, den sie an der Ain-Shams-Universität in Kairo vor den Studierenden hielt. Darüber hinaus ist Erzählung untrennbar mit Salwa verbunden, der Leiterin des katarischen Studentenwohnheims, deren Geschichte die Autorin dazu bewegt, sie in ihre Biografie aufzunehmen. Dies verleiht der Biografie ihre Menschlichkeit, für die die Autorin trotz der Fülle an Geschichten verschiedener Bekanntschaften, trotzdem noch Platz schafft.
Im Wohnheim schlägt das Herz der Studentinnen für die Musik des arabischen Golfes, denn ist die Nostalgie, die nach Palmen riecht, und Erinnerungen, die mit ihren Einzelheiten die Biografie überschwemmen. Diese Nostalgie hielt sie nicht davon ab, der Sängerin Umm Kulthum oder der Predigerin Zainab Al-Ghazali zu lauschen. Es ist die gleiche Nostalgie und Bedeutung, die ich auch selbst in meinem Exil in Wien erlebt habe, wo sich das österreichische Palmenhaus befindet8.
Nach der Rückkehr der Schriftstellerin nach Katar, änderte sich vieles, was die Autorin im Verlauf ihrer Biografie angesprochen hat, was ein weiterer Hinweis dafür ist, dass ihre Biografie im Kontext ihres Landes entstand. In der Biografie wird die Entwicklung der Merkmale der Urbanisierungsbewegung in der katarischen Gesellschaft auf allen Ebenen nachgezeichnet, wie z.B. die Feier von Frauen am Steuer im Jahr 1998, den Verweis auf die Erlangung des Nominierungs- und Wahlrechts für Frauen und den Zugang von Frauen zu Verwaltungspositionen, ”die ohne Einschränkungen und ohne soziale Kritik eingehalten werden”9.
Im Kampf gegen den Brustkrebs
Dieses Kapitel der Biografie füllte die Flügel der Seele mit Wolken des Kummers, und das Herz war blutig vom Schmerz des Leidens und von Gefühlen, die die Seele kaum ertragen konnte, ohne den Tränen zu verfallen. Weder Furcht noch Vorfreude beunruhigten die Schriftstellerin, deren Mutter und Schwester an der gleichen Krankheit starben, vielmehr war sie voller Hoffnung, verletzten Frauen Hoffnung zu geben und die Willenskraft aufrechtzuerhalten. In diesem Kapitel finden wir eine Beschreibung der Dualität der Gefühle der menschlichen Seele, und zwar die der Traurigkeit und der Freude, der Angst und der Beruhigung, der Hoffnung und der Verzweiflung, die die Autorin verspürt, zwischen denen sie sich stetig bewegt hat, um ihre Ängste zu überwinden. Begleitet wurde sie von ihrem tiefen Glauben an die Weisheit, den Willen Gottes und die Güte seines Urteils, die das Licht ihrer Mutter in der Dunkelheit jener Tage leuchten ließ, mit der Unterstützung der Familie, der Schwester und der Freundin. Die Schriftstellerin klammert sich bis zum letzten Augenblick an das Leben, und das Buch des Schmerzes öffnet die Schiffe der Hoffnung, um zu segeln, als würde es mit lauter Stimme das Gedicht der iranischen Dichterin Forugh Farrokhzad ”Eine andere Geburt” wiederholen, in dem sie sagt:
”Vielleicht bedeutet das Leben
Eine breite Straße, die man jeden Morgen überquert
Und das ohne Unterbrechung
Die Frau
Sie trägt ihr Brot und ihr Haus in einem Korb”10.
Das Leben, das die Autorin feiert, und die Kraft, die aufbrachte, um keine Träne zu vergießen, als sie ihrer Familie von ihrer Krankheit erzählte, und das Wort Krebs aussprach, an dem sie gleichzeitig erschreckte, weil ihre Mutter daran verstarb. Meine Mutter ist dort, in dem kleinen Wohnzimmer unseres Hauses im alten Rayyan-Viertel. Sie hockt mit einem schwarzen Kamm in der Hand, und ihre älteste Tochter sitzt vor ihr, mit glattem Haar, mit ein wenig Öl, um die widerspenstigen Haare zu bändigen11”. Die Mutter, die eine unfüllbare Leere und widersprüchliche und vermischte Gefühle hinterlassen hat, in denen die Botschaften der Gewissheit im Kampf gegen die Traurigkeit ringen. Die operative Entfernung der Brust ist nicht einfach zu ertragen, aber auch nicht unmöglich. Die Mutter ließ Botschaften zurück, die mit positiver Energie für jede Frau gefüllt sind und die jeden Tag zum rosigen Oktober machen. ”Es gibt immer etwas Licht am Ende des dunklen Tunnels, wir müssen gut darin sein, die Dinge um uns herum zu sehen, und wir müssen beweisen, was wir an Kraft besitzen”12.
Zwischen Selbstzensur und Zensur der Gesellschaft
Der amerikanischen Schriftstellerin Maya Angelo (1928-2014) wird folgender Spruch zugeschrieben: ”Es gibt keinen größeren Schmerz, als eine unerzählte Geschichte in sich einzuschließen”13. In diesem Zusammenhang musste die Frage nach der Bedeutung des Schreibens und des autobiografischen Erzählens gestellt werden, was keine Sache ist, die jeder Frau möglich ist. Die Schriftstellerin Huda Al-Naimi antwortete: „Irgendwann hatte ich das Bedürfnis, die Lebenserfahrungen, die ich durchgemacht habe, aufzuschreiben, zumal mich folgende Frage bis heute beschäftigt: Wie habe ich es geschafft, Wissenschaft (Physik) und Literatur (Schreiben) zu verbinden? Dies habe ich in vielen Presseinterviews, die ich im Laufe der Jahre geführt habe, zu erklären versucht, aber ich hatte das Bedürfnis nach einer dokumentierten Antwort, die jedem zur Verfügung stehen sollte, der sich diese Frage stellt. Warum haben Sie sich für die Kernphysik entschieden? Warum schrei- ben Sie? Jemand sagte einmal zu mir: ”Was bringt dir das Schreiben, wenn du Physikerin bist?” Dies war eine ernst gemeinte Frage. Er weiß nicht, was das Schreiben für einen Schriftsteller bedeutet, ob er nun Wissenschaftler ist oder wenig Ahnung von Naturwissenschaften hat. Ich antwortete: ”Während meines Studiums in Kairo hatte ich ein anderes Leben, das mir viele neue Wege eröffnete. Dieses andere Leben wurde zu einer Idee und dann zu einem Raum, der mich zum Schreiben brachte. Also schrieb ich”14. Auf meine Frage nach Selbstzensur oder gesellschaftlicher Zensur sagt die Autorin: ”Ja, ich war von dieser harten Zensur umgeben und der innere Kampf mit der Selbstzensur wurde für viele Monate zu meinem Thema, und die gesellschaftliche Zensur war auch die zweite Sache, die das Schreiben und die schöne Kommunikation einschränkt. Hätten wir einiges nicht rausgelassen, hätte der Zensor der offiziellen Instanz mit der Autorität als Waffe ein Machtwort gesprochen. Hier war es also notwendig, alles Geschriebene zu überprüfen, um mit den geringsten Verlusten, die der Zensor vornehmen könnte, herauszukommen, um dieses Buch in der Form, in der es herauskam, herauszugeben. Ich denke (um das Licht am Ende des Tunnels zusehen), dass all diese strenge Zensur, ob Selbstzensur, die gesellschaftliche Zensur oder die Zensur einer offiziellen Instanz, mich schlussendlich dazu gebracht haben, mich auf das Wesentliche zu konzentrieren, ohne den Geist des Textes zu stören, um einen kohärenten Text ohne Redundanz zu bekommen. Kurz gesagt: Das, was gekürzt werden kann, um dem Leser einen starken, kohärenten Text zu bieten”. Dann verweist sie auf die Geheimnisse in ihrer Biografie: ”Diese Bekanntschaft ermutigte mich, einige meiner literarischen Texte hervorzuholen, die wie ein verborgenes Geheimnis blieben. Dabei fühlte ich mich beim Akt des Schreibens zum kollektiven Anliegen getrieben und grub meine Papiere aus ihrem Versteck aus…”15. Es ist eine Erfolgsgeschichte, die durch eine Biografie erzählt wird und jeder Frau an die Hand gibt, ihren Weg ambitioniert und triumphierend zu beschreiten. In der Biografie stecken große Lektionen, Stärke, Entschlossenheit und das Festhalten an der Hoffnung ebenso wie die Investition von Zeit in Dinge, die von Nutzen sind. Es sind Lektionen über den Wert des Glaubens an Gott, den Allmächtigen, auch in den schwierigsten Zeiten, denn mit dem Glauben triumphiert das Leben, ganz im Einklang mit der afroamerikanischen Dichterin und Denkerin Maya Angelou: ”Meine Mission im Leben ist es nicht nur, zu überleben, sondern mit etwas Leidenschaft, Mitgefühl, Humor und Schönheit aufzusteigen”. Dieselben Worte kommen aus dem Mund der Autorin, die mit ihren Erfahrungen und ihrem Bewusstsein aufrecht steht und sich in den Palmen manifestiert, die nicht aufhören werden, weiterzuwachsen und ihren Duft zu verbreiten.
Quellen
1 Al-Naimi, Huda: Wenn die Palmen erscheinen. 1. Auflage. Katar, Dar Djamiat Hamed bin Khalifa li-n-nashr: Doha 2022.
2 Ebd. S. 7.
3 Ebd. S. 37.
4 Ebd. S. 40.
5 Ebd. S. 53.
6 Ebd. S. 83.
7 Der Koran: Sure: der Stein, Vers Nr. 46.
8 Das Palmenhaus befindet sich im Schloss Schönbrunn, in der österreichi- schen Hauptstadt Wien.
9 Al-Naimi, Huda: Wenn die Palmen erscheinen, S. 127f.
10 Ein Ausschnitt des Gedichtes.
11 Al-Naimi, Wenn die Palmen erscheinen, S. 142.
12 Ebd. S. 149.
13 Der echte Name der Autorin lautet Marguerite Annie Johnson. Sie ist eine bekannte Schriftstellerin und Dichterin, die Artikel, Biografien und Gedichte verfasste.
14 Interview in der Zeitung Al-Jazeera, herausgegeben- am 20.08.1999, unter diesem Link abrufbar: https://www.al-jazirah.com/1999/19990820/wn4. htm
15 Al-Naimi, Wenn die Palmen erscheinen, S. 121f.
Dr. Ishraga Mustafa Hamid
Österreichische Schriftstellerin, Übersetzerin und Forscherin sudanesischer Herkunft, lebt und arbeitet seit 1993 in Wien, wo sie Medien- und Politikwis- senschaft studierte. Sie hat viele Sonderausgaben herausgegeben und diverse Bücher übersetzt. Sie erhielt zahlreiche Auszeichnungen und wurde für ihr kulturelles und kreatives Engagement in der österreichischen Gesellschaft mit der Goldmedaille der Wiener Regierung ausgezeichnet.
Dr. Huda Al-NaimiDie katarische Schriftstellerin und Forscherin hat sich als kreativ im Bereich der Kurzgeschichten und Biografien erwiesen und in der Jury internationaler Literaturpreise mitgewirkt. Sie promovierte im Fach Physik und ist Trägerin des Staatspreises für Wissenschaft. Sie vertrat ihren Herkunftsstaat Katar auf internationalen wissenschaftlichen Konferenzen und arbeitet an der Entwicklung von Strahlenschutzsystemen in medizinischen Einrichtungen. Derzeit ist sie Assistenzprofessorin am Weill Cornell Medical College.