Die Zerstörung und der soziale Zerfall einer Großzahl von arabischen Staaten endeten in Bürgerkriege oder in konfessionelle Spannungen. Vor diesem Hin- tergrund und der derzeitigen historischen Krisen, wurde mein Vertrauen in die Authentizität unserer arabischen Kultur keineswegs geschwächt.
Überzeugt bin ich insbesondere davon, dass die arabische Kultur die Fähigkeit besitzt, neue Wege für die Besserung der derzeitigen Lage zu schaffen. Dies motiviert mich dazu, meine menschlichen und kulturellen Erfahrungen zu vermehren, um fruchtbare Beziehungen in den juristischen Kreisen aufzubauen, da hier das Interesse darin besteht, Brücken zwischen Westen und Osten zu schlagen. Die meisten innerhalb dieser Branche haben keine gemischte Herkunft, so dass ich den schlecht gelaunten von ihnen mit einem Lächeln entgegentrete. Dies eröffnete mir den Kontakt zu meinen Mitmenschen, so dass die Fremdheit in Vertrautheit umschlug. Mit dem persönlichen Kontakt sollen Missverständnisse aus dem Weg geräumt werden, um passierbare Wege in die weite Welt der verschiedenen Herkünfte der Menschen zu schaffen.
Ein stiller frühmorgendlicher Lichtstrahl erhellt mein Büro bei der Staatsanwaltschaft im Norden des Bundeslandes Hessen in Deutschland. Um neun Uhr morgens klopfte ein schwarzer Mann in den Vierzigern vorsichtig an meine Bürotür. In seinem Gesicht hatte das Leben tiefe Falten hinterlassen, die ihn viel älter wirken ließen. In gebrochenem Deutsch sprach er stotternd von seltsamen Dingen, um sich daraufhin mit Handzeichen auszudrücken. Ich versuchte, aus seiner Mimik schlau zu werden, jedoch traf mich ein Blick, den ich nicht zu entziffern vermochte. Ein breites Lächeln mit zusammengekniffenen Augen. Ein geschickter Ausdruck, der genau zwischen Humor und Ernsthaftigkeit lag. Ich fragte ihn, ob er eine andere Sprache als Deutsch spreche. Er rief: ”Englisch oder Arabisch”, und fing unmittelbar damit an, sich über den rassistischen Umgang mit ihm zu beschweren. Er sagte dies, ohne meine arabischen Wurzeln zu kennen, als wolle er nur seinen Ärger ablassen.
Diese Situation versetzte mich ins Jahr 2006, in dem ich als Geflüchtete in dieses Land kam. Ich befand mich auf der Flucht vor dem Krieg und kam nach Deutschland. Nach einer kurzen Unterhaltung mit ihm, sagte er viele Dinge, die in mir Emotionen weckten und mich in meiner beruflichen Rolle beeinflussen könnten. Es ist merkwürdig, wie flüchtige Ereignisse der Auslöser für Erinnerungen an die schweren Zeiten im Leben sein können und sich dann wie ein schnelles Filmband im Kopf abspielen, ähnlich dem, was mir an jenem Tag widerfuhr, als ich diesen Einwanderer empfing, mit dem ich seine Migrationsgeschichte teilte. Wir kamen und bettelten um Asyl dort, wohin der Kolonialismus unsere Vorfahren vertrieben hatte.
Trotz meines Fleißes, der mich nun durch die Korridore des deutschen Justizgebäudes und in die Ecken seiner unabhängigen Institutionen streifen lässt, versuche ich mich hinsichtlich meiner kulturellen Identität ganz der Kultur der Gerechtigkeit hinzugeben. Ihre Güte stärkt den Freiheitssinn in mir. Trotz all dieser Freuden sehe ich mich das tun, was mir die Menschliche Selbst diktiert: Mal wird dies von der Justiz geschützt, und ein anderes Mal wird der Freiheitssinn verletzt.
Vieler meiner Erfahrungen waren unvorhersehbar und mit Hindernissen behaftet, denn ich bin nicht gut darin, Akten mit Randnotizen zu versehen oder meine Sätze zwischen Anführungszeichen zu setzen. Dies motiviert mich jedoch dazu Lösungen zu finden und meine Fähigkeiten zu erweitern. Nicht zuletzt verhalf mir das Aufwachsen in einer disziplinierten glücklichen Familie dazu, mir meinen Weg unabhängig zu ebnen.
Dies hat mich meine Verwaltungsarbeit gelehrt, die wie die Behörden in Deutschland manchmal von überflüssiger purer Bürokratie dominiert ist. Ja, jeder von uns hat eine ungeheure gottgegebene Fähigkeit, um Schwierigkeiten mit Willen und Geduld zu überwinden, sodass Liebe, Toleranz und der Dialog Brücken zwischen den Menschen schlägt. Eventuell wäre ich jetzt immer noch eine unterdrückte Geflüchtete, wie „Amin“, dessen Akte ich aktuell bearbeite.
Die Geschichten von Geflüchteten, Migranten und sogar Exilanten auf der ganzen Welt weisen große Ähnlichkeiten auf, sodass diese sich lediglich durch Details unterscheiden lassen. Letztlich ist dennoch der Mensch derjenige, der sein Schicksal und schlussendlich seinen Weg bestimmt. Vielleicht ist das der Unterschied zwischen einem erfolgreichen Araber, und dem Araber, der noch am Tiefpunkt sitzt, in der Kluft zwischen Willen und Wunschdenken. Unser Wille und unseren Ambitionen sollte Folge geleistet werden, unabhängig davon wie heftig die Katastrophen und Hindernisse sind. Geflüchtete werden mitunter als populistisches Aushängeschild gesehen, hinter dem sich viele Menschen in ihrer sozialen Existenz bedroht fühlen.
Vieler meiner Erfahrungen waren unvorhersehbar und mit Hindernissen behaftet, denn ich bin nicht gut darin, Akten mit Randnotizen zu versehen oder meine Sätze zwischen Anführungszeichen zu setzen. Dies motiviert mich jedoch dazu Lösungen zu finden und meine Fähigkeiten zu erweitern
Der Geflüchtete, der ein Gesicht, einen Namen und eine persönliche Geschichte hat, wird nicht als Individuum wahrgenommen, sondern ausschließlich als Repräsentant eines Kollektivs aus der Diaspora. Vielleicht ist es an der Zeit, Geflüchtete, unabhängig woher sie kommen, als Opfer zu verstehen, die nicht nur unter Flucht und Ausgrenzung, sondern auch unter Entwurzelung gelitten haben.
In seinem im Jahr 2020 erschienenen Buch „Flucht“ spricht der deutsche Historiker Andreas Kossert über Geflüchtete in Europa und die politischen und sozialen Auswirkungen ihrer Integration in die fremde Gesellschaft. In seinem Buch heißt es in etwa: Wenn ein Kind eines Geflüchteten oder Nicht-registrierten geboren wird, hat es nur einen Wunsch: die Wurzeln, die aus seiner Heimat genommen wurden, in den Boden zu pflanzen, in dem es lebt, um sie hier in diesem Boden wieder zum Blühen zu bringen. Wohlstand auf neuem Land, ohne die menschliche Kultur und Vergangenheit zu verleugnen – das nenne ich Integration. Shahnour Aznavourian, bekannt als Charles Aznavour, sagt: ”Aufnahmegesellschaften sprechen gerne von Integration, wenn sie ihre Errungenschaften hervorheben wollen”. Er wurde 1924 in Paris als staatenloser Armenier geboren.
Seine Eltern überlebten Deportation nach Frankreich und einen Völkermord, wo er als Kind in einer armenischen Exilgesellschaft aufwuchs und Armenisch sprechen lernte. Aus Shahnour Aznavourian wurde später Charles Aznavour, eine französische Berühmtheit. ”Mein Zuhause ist für mich der Ort, an dem ich geboren wurde und als Kind das Sprechen und Laufen gelernt habe. Wir haben uns geküsst, Frankreich und ich, und wir sind beide sehr glücklich darüber. Schließlich trägt der Wein die Herkunftsbezeichnung, in der die Trauben geerntet wurden. Jeder hat ein Land im Herzen, und es ist immer tröstlich, sich daran zu erinnern, woher wir kommen. Obwohl die innere Bindung zu meiner Heimat Frankreich stärker ist, fühle ich mich dem Land, in dem meine Familie verwurzelt ist, sehr verbunden”.
Es ist nicht ausreichend, dass die Vergangenheit mit einer Feder der Nostalgie oder mit der absoluten Ehrlichkeit geschrieben wird, vielmehr muss die Solidarität zwischen unseren arabischen Gesellschaften gestärkt werden, um unseren Fähigkeiten einen Ausdruck zu verleihen. Ausgrenzung und Migration oder Flucht, sind im Endeffekt Ausdrücke für einschneidende Geschehnisse, die unser Leben in ein Vorher und Nachher trennen, und nicht wie ein Erdbeben vorübergehen. Selbst einem Erdbeben entkommen einige Menschen dem Tod, und einige Häuser entrinnen der Zerstörung. Der Effekt der Ausgrenzung setzt sich jedoch fort wie ein Monster, das die letzten Menschen mit seinem Schwert tötet und sie zwischen den Felsen verhungern oder in der Wüste verdursten lässt. Seine sozialen oder politischen Folgen unterscheiden sich grundlegend von den Gewaltexzessen früherer Epochen. Denn die Willkür hat nun keine Regeln oder ist nicht nur von zerstörerischer Blutlust geprägt, sondern sie ist das Abbild des Regimes insgesamt. Denn ganz gleichgültig, wie sehr sich der Gesetzgeber in seiner Rolle bemüht, so bleibt der Mensch die Grundlage für den Aufbau von Gerechtigkeit. Insbesondere wenn er sie selbst beherzt, bevor er sie anderen auferlegt und sich ihren starren Texten unterwirft, statt danach zu streben, die Gesetzestexte seiner Überzeugung nach auszulegen. Wenn der Gesetzestext keinen adäquaten Wortlaut liefert, deutet dies entweder auf das Versagen des Verfassers hin oder darauf, dass der Gesetzgeber die kontinuierlichen Entwicklungen der sozialen Umstände nicht abbildet, ähnlich wie bei der Bambuspflanze, die fünf Jahre lang kaum zu sehen ist, weil sie eine breite unterirdische Wurzelstruktur bildet, bis sie dann innerhalb von sechs Wochen drei Meter über dem Boden ragt.
Die Existenz unserer arabischen Bevölkerung wird nur durch einen beharrlichen Kampf vieler Teilnehmenden gegen Fraktionen mit starren vererbten politischen Gesinnungen realisierbar sein, denn diese behindern unsere Einheit als Nation. Es handelt sich um ein starres Muster, das aus dem Willen der jüngeren Generationen mit Unterstützung von Menschen aus älteren Generationen hervorgeht, die eifrig nach der Existenz eines arabischen Gebildes streben, während sie der vereinfachten modernen Gesetzesverfassung eine kulturelle Komponente hinzufügt, die der stabilen Beziehung zwischen den innerarabischen und den ausländischen Beziehungen nicht schadet.
Die Sitten und Bräuche der Araber bleiben ein Vorteil für die Realisierung einer arabischen Einheit, verweilen jedoch als Tinte auf dem Papier und können leicht übertroffen werden, wenn sie nicht durch Initiativen, Projekte und Solidarität realisiert werden, sodass ihr Bestehen gewährleistet wird.
Rana Iskander
Die gebürtige Libanesin lebt in Deutschland und forscht in den Bereichen Anthropologie, Krisenmanagement und Politik und Integration. Aktuell arbeitet sie als Justizermittlerin. Für eine Arbeit, die beim Hohen Kommissar der Vereinten Nationen in New York eingereicht wurde, erhielt sie eine Anerkennungs- urkunde vierten Ranges, sowie eine Antikorruptionsurkunde des Hessischen Landesgerichts in Deutschland.