Die zeitgenössische Literatur bietet der Frau ein immer stärkeres Medium, durch welches ihre Stimme gehört wird und aktuelle Ängste und Wünsche sowie emanzipatorische Forderungen artikuliert werden können. Die Darstellungen und Herangehensweise arabischer Autorinnen an aktuelle Problematiken unterscheiden sich mitunter deutlich von den Darstellungen westlicher Autorinnen1.
Kulturhistorische Diskurse sind weltweit maßgeblich für die Schaffung stereotyper Frauenbilder in der Literatur verantwortlich und haben ”eine Geschichte der Aussparung” geschaffen. Der historische Ausschluss der Frau aus politischen, kulturellen und bildungsrelevanten Positionen und Institutionen entspricht der Abwesenheit der Weiblichkeit in einer von Männern dominierten Geschichtsschreibung. In diesem von Männern vorgegebenen System wird die Frau in der Literatur als metaphorisches, nichtpersonalisiertes Wesen dargestellt, dessen physische und moralische Eigenschaften dauerhaft wiederholt werden. Durch diese Wiederholung wird die Abwesenheit der Frau im kulturellen und gesellschaftlichen Leben offenbart. In diesem kulturhistorischem Diskurs wurde der Frau weder eine Persönlichkeit gegeben noch ein Diskurs von Frauen selbst geschaffen, geschweige denn eine Unterscheidung zwischen persönlichen Umwelteinflüssen, Umständen oder der Gesellschaftsklasse vollzogen. Die männliche Zentralität brachte kulturelle Stereotype einer Weiblichkeit hervor, die soziokulturell und in der entsprechenden zeitgenössischen Literatur produziert wurden.
Diese von Männern geschaffenen Frauenbilder wurden darüber hinaus reproduziert, indem sie in den entsprechenden wissenschaftlichen, historischen, philosophischen, künstlerischen und literarischen Kontext eingebettet wurden2.
Durch diese kulturhistorische Abwesenheit der Frau konnten sich weibliche Stereotype manifestieren, die eine soziokulturelle Tradition der Geschichtslosigkeit der Frau beschreiben. Demnach ist die Geschichte der Frau in der Geschichte von Kultur und Gesellschaft eine Geschichte der Aussparung3 und Lücken, der Abwesenheit des Weiblichen. Das Fehlen einer Tradition weiblicher Literatur im Sinne weiblicher Autorenschaft begründet die männliche Perspektivität literarischer Konstruktionen von Weiblichkeit.
Die Frau als Bedrohung und Rätsel
Es gibt zahlreiche stereotype Geschlechter- rollen, -muster, -charaktere und künstliche Weiblichkeitsbilder, die durch die männliche Autorenschaft in der jeweiligen zeitgenössischen Gesellschaft geschaffen und etabliert wurden. Eine Grundlage für die Entstehung des männlichen Aneignungsprozesses führt Hartmut Böhme auf zahlreiche religiöse und mythologische Schöpfungsgeschichten zurück. Eine von Böhme vorgestellten Schöpfungsgeschichten ist die Schöpfung der Welt als Folge des Kampfes zwischen dem Gott Marduk und der Urflut Tiamat im babylonischen Schöpfungsmythos Enuma elis. In diesem und anderen antiken Texten geht es darum, dem weiblichen Chaos die kreative Potenz zu rauben und einem kulturstiftenden Herrengott zuzuführen4. In der Literatur können Konstruktionen von Weiblichkeit festgestellt werden, die Gefahr, eine Bedrohung oder aber Verheißung für den Mann darstellen. Das Bild der Frau als unberechenbares und somit rätselhaftes Wesen findet sich oft in Mythologien und Märchen wieder. Die literarischen Konstruktionen der Frau als Rätsel, Gefahr oder Verheißung vermitteln ein Bild von Weiblichkeit, das dem Mann gleichberechtigt oder überlegen gegenübersteht.Die gleichberechtigte weibliche Figur hat die Macht, Leben zu schenken, Glück zu versprechen, aber auch Existenz zu bedrohen und Leben zu nehmen – sie kann bedrohlich, gefährlich und in gewisser Weise gleichsam reizvoll sein. Die Konstruktion der Weiblichkeit als Verheißung oder als Rätsel ist eine ebenso mächtige Figur, die sich mindestens gleichberechtigt zum männlichen Gegenspieler verhält. Exemplarisch hierfür ist die weibliche Sphinx aus der griechischen Mythologie. Die weibliche Figur, die Verheißung und Rätsel gleichermaßen ist, ist attraktiv, gefährlich, klug und mächtig und dementsprechend der männlichen Figur ebenbürtig. Auch andere weibliche Figuren wie die Loreley bei Heinrich Heine oder die Sirenen in der griechischen Mythologie stellen durch ihre nicht erklärbaren Reize und ihre überwältigende Attraktivität eine Gefahr für den Mann dar. Als Verführerin ist die Frau eine Bedrohung für den Mann, da sie eine mystische Anziehungskraft auf ihn ausübt, die ihn dabei zerstören kann. Inge Stephan stellt in einigen Abenteuerromanen des 19. Jahrhunderts eine Renaissance des Rätsels der Weiblichkeit fest. Exemplarisch nennt sie Jules Vernes Roman ”Die Eisensphinx” von 1897 und Joseph Conrads Erzählung ”Heart of Darkness” von 1899, in denen die rätselhafte Weiblichkeit als Ausdruck für das Geschlechterverhältnis, welches vom männlichen Machtbegehren und der Eroberungslust geprägt ist, gebraucht wird5.
Die Frau als Objekt
Ein weiterer Aspekt im kulturhistorischen Diskurs um die literarische Frau kann der ihrer Objektwerdung gesehen werden. Die Frau wird durch die Autoren als Objekt, dessen man habhaft werden kann, betrachtet. Dieses Eigentumsverhältnis findet seinen Ausdruck in der Vater-Tochter-Rolle, der Bräutigam-Braut- und in der Bruder-Schwester Konstellation. Gesellschaftlich versprachen Zwangsheiraten, dem Vater der Braut und dem Bräutigam einen strategischen politischen und ökonomischen Vorteil. Sie verdeutlichen das Bild der Frau als Objekt. Das Motiv der Zwangsverheiratung oder der Frau als Tauschobjekt wurde vielfältig in der Literatur aufgegriffen. Vorwiegend erfüllt dieses Bild die Funktion, die Frau als Tauschobjekt und Belohnung für die Leistung des Mannes darzustellen. Dennoch gibt es in der Literaturgeschichte auch Gegenbewegungen: von Frauen getragene Bewegungen, die den Objektstatus der Frau negieren und die Frau zum Subjekt machen6.
Von der imaginären zur imaginierenden Frau
Die männliche Zentralität und ein vorgefertigter kultureller Diskurs, der von Männern gestaltet wurde, stellen bis heute eine Hürde für die Frau dar und lange Zeit blieb der Frau der Zugang zu höherer Bildung und zur Teilhabe und Teilnahme am politischen, gesellschaftlichen und kul- turellen Leben verwehrt. Mit dem bürgerlichen Emanzipationsprozesses des 18. Jahrhunderts wurde das Gleichheitspostulat zur Prämisse des bürgerlich revolutionären Denkens. Somit entstand ein neues literarisches Frauenbild: Das Bild der emanzipierten Frau. Aus dem aufklärerischen Gleichheitsgedanken und vor dem Hintergrund der französischen Revolution entwickelte sich ein neues Spannungsfeld zwischen den Geschlechtern. Die Frau wird selbst bewusstes Mitglied des kulturellen Lebens und kann mit einem gesellschaftlich gehobenen familiären Hintergrund Leiterin eines literarischen Salons sein. Dennoch verbleibt sie in einem Zustand der Unselbstständigkeit und Abhängigkeit, da ihr der Weg zur Bildung versperrt bleibt. Dennoch wurde zur Zeit der Aufklärung in Europa Frauen ein größeres Forum für die Teilhabe an und der Gestaltung des kulturellen Lebens zugestanden. Doch die literarischen Konstruktionen der gelehrten und dementsprechend dem Mann ebenbürtigen Frau sind von geringer Zahl und weisen im Kontext der Literatur dieser Epoche dieselbe Ambiguität wie im realen kulturellen Leben auf. Doch mit dem Bild der empfindsamen Frau zur Zeit der Romantik, wird der gelehrten Frau ein anderes Bild gegenübergestellt: Das Bild der empfindsamen Frau.
Dieses weist viele Parallelen zu früheren Mythologien und Märchen auf: Die Frau ist abhängig vom Mann, der außerhalb des Haushalts seiner Arbeit nachgeht, sein Leben selbstständig gestaltet, ein Einkommen hat und gebildet ist. Als finanziell und gesellschaftlich unabhängige Person, nimmt der Mann gegenüber der Frau die stärkere Position ein. Schrieben Autorinnen zunächst unter einem männlichen Pseudonym, weigerte sich Mary Shelly sich eines solchen zu bedienen und veröffentlichte „Frankenstein, oder: Der Moderne Prometheus” im Jahre 1818 zunächst anonym, bis sie ihren eigenen Namen verwendete7. Von Frauen geschriebene Literatur wurde schnell von der männlichen Autorenschaft als niedere Literatur oder ”Kitsch” abgewertet. Doch mit Mary Shelly wurde mit der Veröffentlichung ihres bahnbrechendes Werkes um Viktor Frankenstein, eine noch nie dagewesene düstere Thematik und Warnung vor einer zeitgenössischen Entwicklung, der Elektrizität, von einer Frau festgehalten. Doch solange die Frau als die ”fremde Andere” wahrgenommen wird, kann keine gleichwertige Wechselbeziehung zwischen den Geschlechtern bestehen8.
Die Frau in der arabischen Literatur
Derzeit gibt es etwa 400 Bücher arabischer Autorinnen auf dem deutschsprachigen Buchmarkt und seit den 1900 sechziger Jahren wächst der Markt für arabische Literatur. Maßgeblich für eine literarische Frauenbewegung war Ägypten, wo im Jahre 1892 die Syrerin Hind Nawfal die erste Frauenzeitschrift, Al-Fatah, gründete. Die erste feministische Zeitung erschien ebenfalls einige Jahre später im Jahre 1925. Doch für arabische Autorinnen war es zunächst ein mühseliger Weg, sich selbstbewusst äußern zu können und sich eigene Artikulationsräume in einer von Männern dominierten Gesellschaft zu erschließen9.
Die literarische Frau ist stets im Spiegel der jeweiligen zeitgenössischen Gesellschaft zu verstehen und greift selbst private oder gesellschaftsübergreifende Themen auf oder wird als literarische Gestalt durch männliche Autoren mit bestimmten Attributen ausgestattet. Einer der bedeutendsten zeitgenössischen Dichter, Nizar Qabbani, erschütterte mit seinem Frauenbild konservative Gesellschaften. Die Frau wird von Qabbani als verletzlich, sinnlich, aber auch virtuos und pflichtbewusst beschrieben, vereinigt bisher voneinander getrennte Widersprüche und ist emanzipiert. Die saudischen Dichter Hussayn Sarhan (1913-1993), Ghazi al-Qusaybi (1940-2010) und Muhammad Jabr al-Harbi (geb. 1956) stellen durch ihre Schilderung der literarischen Frau ihre Situation in der jeweiligen zeitgenössischen Gesellschaft und Kultur dar: Hussayn Sarhan beschreibt die Frau als Äquivalent zum Tod, Ghazi al-Qusaybi stellt die Frau als Inspiration und Muse dar, die jedoch an ihrem Geliebten hängt, der sie entmachtet. In Jabral-Harbis Dichtung legt die Frau die Fesseln der Vergangenheit ab, befreit sich und führt ein selbstbestimmtes Leben10.
Jahrhundertelang wurden Frau vom Zugang zur Bildung ausgeschlossen und an politischer sowie sozialer Partizipation gehindert. Aus diesem Grund gab es bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts nur vereinzelt von Frauen verfasste Texte. Zu dieser Zeit verbesserten sich die Bildungschancen und es gelang einigen wenigen Frauen, die noch ausschließlich aus der gehobenen gesellschaftlichen Schicht kamen, sich öffentlich zu Wort zu melden. Die Mehrheit der Männer reagierte mit offener Verachtung auf die zunehmenden Aktivitäten der Frauen und taten ihre Ausdrucksform profan als niedere Literatur oder Frauenliteratur ab. Heute sind es so berühmte Namen wie Assia Djebar (Algerien), Fatima Mernissi (Marroko), Nawal al-Saadawi (Ägypten) oder Ghadar Samman (Syrien), die über Politik und Sexualität, Frauen und den Islam, über Lebensbedingungen auf dem Land, der Ausbildung und Arbeitslosigkeit und dem Analphabetismus schreiben. In Romanen, Kurzgeschichten, Essays zeigen sie eine reale und schwierige Lebenswelt von Frauen in arabischen Gesellschaften. Sie sprechen Tabus an, kritisieren diese und fordern eine Verbesserung ihrer Lebensumstände11.
Quellen:
1. Siehe dazu: BAGADER, Abubaker, Ava M. HEINRICHSDORFF und De- borah S. AKERS (1998): Voices of Change : Short Stories by Saudi Arabian Women Writers.
2. Siehe dazu: BOVENSCHEN, Silvia (1979): Die imaginierte Weiblichkeit. Exemplarische Untersuchungen zu kulturgeschichtlichen und literari- schen Präsentationsformen des Weiblichen, S.65.
3. Siehe dazu: SCHABERT, Ina (1995): Gender als Kategorie einer neuen Literaturgeschichtsschreibung, S.163 ff.
4. Siehe dazu: BÖHME, Hartmut (2003): Masken, Mythen und Scharaden des Männlichen. Zeugungen und Begehren in männlichen Phantasien, S.100- 102.
5. Ebd.
6. Siehe dazu: OSINSKI, Jutta (1998): Einführung in die feministische Litera- turwissenschaft.
7. Siehe dazu: PECHMANN, Alexander (2006): Mary Shelley: Leben und Werk, S.96-97.
8. Siehe dazu: GERL, Hanna-Barbara (1989): Die bekannte Unbekannte. Frauen-Bilder in der Kultur- und Geistesgeschichte, S.19-20.
9. Siehe dazu: EBNER, Christine Aischa (2005): Die Sprache zur Freiheit – Die Welt der arabischen Frauenliteratur.
10. Siehe dazu: BAGADER, Abubaker, Ava M. HEINRICHSDORFF und Deborah S. AKERS (1998): Voices of Change : Short Stories by Saudi Arabian Women Writers.
11. Siehe dazu: EBNER, Christine Aischa (2005): Die Sprache zur Freiheit – Die Welt der arabischen Frauenliteratur.
Literatur:
BAGADER, Abubaker, Ava M. HEINRICHSDORFF und Deborah S. AKERS (1998): Voices of Change: Short Stories by Saudi Arabian Women Writers. London: Lynne Rienner Publishers.
BÖHME, Hartmut (2003): Masken, Mythen und Scharaden des Männlichen. Zeugungen und Begehren in männlichen Phantasien. In: BENTHIN, Claudia und Inge STEPHAN (Hg.): Männlichkeit als Maskerade. Kulturelle Inszenierungen vom Mittelalter bis in die Gegenwart. Köln/Weimar/Wien: Böhlau.
Bovenschen, Silvia (1979): Die imaginierte Weiblichkeit. Exemplarische Untersuchungen zu kulturgeschichtlichen und literarischen Präsentationsformen des Weiblichen. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
EBNER, Christine Aischa (2005): Die Sprache zur Freiheit – Die Welt der arabischen Frauenliteratur. In: Frauensolidarität, 91.
SCHABERT, Ina (1995): Gender als Kategorie einer neuen Literaturgeschichtsschreibung. In: BUßMANN, Hadumod und Renate HOF (Hg.): Genus – zur Ge- schlechterdifferenz in den Kulturwissenschaften. Stuttgart: Kröner.
OSINSKI, Jutta (1998): Einführung in die feministische Literaturwissenschaft. Berlin: Schmidt. PECHMANN, Alexander (2006): Mary Shelley: Leben und Werk. Patmos Verlag: Düsseldorf, S.96-97.
Désirée Kaiser
Sie absolvierte ihren Bachelor in Orient- und Asienwissenschaften an der Universität Bonn und erwarb einen Master in arabischer Sprache und Übersetzung. Aktuell interessiert sie sich als Doktorandin für den aktuellen gesellschaftlichen Wandel im Nahen und Mittleren Osten. Durch ihre Tätigkeit beim Deutschen Akademischen Austauschdienst und bei der Bundeszentrale für Politische Bildung konnte sie ihre Leidenschaften für Politik und Wissenschaft verbinden. Derzeit arbeitet sie in einem Zentrum des Deutschen Akademischen Austauschdienstes als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Programm des African Centre for Climate and Environment – The Future of the African Savanna, einem Programm des Zentrums für Forschungsentwicklung der Universi- tät Bonn. Es trägt mit seiner Arbeit durch den engen Austausch zwischen der Universität zu Köln, der Universität Nairobi (Kenia) und der University of Felix Ofoe-Boigny / Abidjan (Elfenbeinküste) zum gemeinsamen Austausch und zur weltweiten interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Ost- und Westafrika bei. Als Mitglied der Grünen engagiert sie sich im Bereich Einwanderung, Integration und Gestaltung einer nachhaltigen und gleichberechtigten Zukunft.