Im Folgenden möchte ich einige kurze Überlegungen zur Bedeutung von “Heimat” anstellen – für mich als englischer christlicher Bibelwissenschaftler, für die Araber und Juden in Israel, unter denen ich gelebt habe, und für die Bibel selbst, in deren Licht ich meine eigenen Erfahrungen und die Erfahrungen beider Seiten des Konflikts in Israel-Palästina interpretiere.
Ich beginne mit mir selbst. Obwohl ich mir dessen nicht immer bewusst war, war “Heimat” وطن ein wichtiges Thema in meinem Leben, da ich keine Wurzeln habe. Aufgrund der Arbeit meines Vaters bin ich in mehreren Ländern aufgewachsen und habe nie mit meiner Familie in England gelebt. Ich habe England vor allem durch das Internat erlebt, wo ich acht Jahre gelebt habe. Das ist ein Ort, das ich niemals als “Heimat” bezeichnen würde. Meine erste Erfahrung mit einem Ort, der für mich eine Art „Heimat“ (وطن) wurde, war in Israel, als ich als Teenager dorthin reiste und vor allem unter säkularen (nicht religiösen) Juden lebte und arbeitete, darunter auch Kinder von Holocaust-Überlebenden. Während dieser Zeit in Israel führte mich meine Reise auch in eine christliche Gemeinschaft in einer gemischt jüdisch-arabischen Stadt. Dort entdeckte ich nicht nur eine Art Heimt sondern auch Gott auf eine tiefere Weise. Seitdem sind für mich Israel, Heimat und Gott irgendwie immer miteinander verbunden geblieben.
Die traditionelle jüdische Überzeugung ist, dass das Land Israel ihnen von Gott als der einzige Ort gegeben wurde, den sie wirklich und endgültig Heimat nennen können
Nun zu den Juden. Auch für sie waren Israel, Heimat und Gott schon immer miteinander verbunden, wenn auch auf eine andere Art und Weise. Die traditionelle jüdische Überzeugung ist, dass das Land Israel ihnen von Gott als der einzige Ort gegeben wurde, den sie wirklich und endgültig Heimat nennen können. In den letzten zweitausend Jahren haben die Juden jedoch außerhalb dieses Landes gelebt und es als einen Ort der göttlichen Verheißung betrachtet, zu dem sie nur durch ein Wunder zurückkehren können. Vor siebzig Jahren kehrten viele von ihnen tatsächlich zurück. Die Ironie dabei ist, dass das wichtigste Ereignis, das die meisten von ihnen dazu veranlasste, die Reise zu wagen – nämlich der Holocaust – so schrecklich war, dass die meisten, die dort ankamen, nicht mehr an Gott glauben konnten. Ich denke, das ist der Grund, warum ein Großteil der jüdischen Israelis säkular ist.
Die Quelle der jüdischen Überzeugung, dass es Gottes Plan ist, Israel zur Heimat der Juden zu machen, ist die Bibel, ein Buch, das auch Christen als das Wort Gottes betrachten. Was also lehrt uns dieses Buch uns über das Thema “Heimat”? Wenden wir uns nun der Bibel zu.
Die Antwort finden wir ganz am Anfang der Geschichte (تاريخ؟), die die Bibel erzählt. Sie beginnt mit der Erschaffung der Welt durch Gott. Dort im ersten Kapitel der Bibel entdecken wir, dass dieser physische Planet für uns als Heimat gemacht worden ist. Die Bibel lehrt uns aber mehr dazu, indem sie darauf hinweist, dass drei Voraussetzungen gegeben sein müssen, damit dieser Planet wirklich unser Zuhause werden kann: 1) Er muss das sein, was Gott “sehr gut” (حَسَنٌ جِدّا, Genesis 1:31) nennt, und das bedeutet einen Ort ohne Gewalt, Krankheit oder Tod. 2) Er muss ein Ort sein, an dem die menschlichen Beziehungen von gegenseitigem Vertrauen und Liebe geprägt sind (1. Mose 2,25). 3) Am geheimnisvollsten ist, dass er ein Ort sein muss, an dem Gott selbst in besonderer Weise mitten unter uns gegenwärtig ist (1. Mose 3,8). Dafür sind wir geschaffen: für die vollkommene Gemeinschaft mit einer guten Schöpfung, miteinander und mit Gott. Wenn wir das haben, dann sind wir wirklich “zu Hause”. Das erste Bild von Heimat in der Bibel ist der Garten Eden (جَنَّة عَدْن Genesis 2).
Laut der Bibel waren am Anfang diese Voraussetzungen erfüllt. Adam und Eva waren „zu Hause“ (وطن). Das heißt, dass am Anfang der Geschichte, unsere ersten Eltern schon „angekommen“ waren—was wünscht man sich mehr, als in seinem Heimat zu sein? Aber die biblische Geschichte geht weiter: Adam und Eva haben ihre Heimat verloren, sie wurden aus dem Garten und fern von Gott vertrieben. Dies entspricht ein zentraler Teil unserer universellen menschlichen Erfahrung, nämlich, dass das, was wir Heimat nennen, immer irgendwie gebrochen bleibt. Die Welt um uns herum ist voller Tod, unsere Beziehungen zueinander sind von Misstrauen und Manipulation geprägt, unsere Beziehung zu Gott ist distanziert und trüb geworden. Wir sind alle aus Eden vertrieben worden. Was war die Ursache dafür? Der Bibel zufolge wurde dies durch die menschliche Entscheidung herbeigeführt, dass wir versuchen, unsere eigenen Götter zu sein, anstatt den einen wahren Gott Gott sein zu lassen (1. Mose 3,4-5). Und so mussten wir seine Gegenwart, die Gegenwart unseres Heimatmachers, verlassen.
Das ist aber nicht das Ende der Biblischen Erzählung, sie geht noch weiter. Nach dieser schlechten Nachricht verkündet (تبشّرنا) sie uns eine gute Nachricht (بِشَارَة صَالِحَة): Die Dinge werden nicht so bleiben, wie sie sind. Am Ende wird Gott dafür sorgen, dass sein Plan vollendet wird. Er wird die Erde erneuern und alles wieder in Ordnung bringen. So beschreiben es die Propheten auf unterschiedliche Weise: In einer zukünftigen erneuerten Schöpfung wird es keinen Tod und keine Krankheit mehr geben (z. B. Offenbarung 21,4), die Menschen werden einander lieben und vertrauen, statt sich zu bekämpfen (z. B. Jesaja 2,4), und Gott selbst wird in unserer Mitte wohnen (z. B. Zephanja 3,17). Eines Tages werden wir doch “zu Hause” ankommen.
Was bedeutet das für die Erfahrungen der Palästinenser und Juden heute? Eines ist klar: Wenn wir die gegenwärtigen Erfahrungen der jüdischen Israelis im Lichte ihrer eigenen Heiligen Schrift messen, dann sind sie immer noch nicht ganz zu Hause angekommen. Selbst wenn wir annehmen, dass Gott sie tatsächlich in das Land zurückgebracht hat – gläubige Juden, die ihre Schriften lesen, wissen, dass das Land, wie es heute ist, noch nicht der Ort ist, den die Propheten versprochen haben. Solange die drei oben genannten Voraussetzungen fehlen, leben die Kinder Israels immer noch im Exil ( منفى? سبي), auch wenn es innerhalb der Grenzen eines jüdischen Staates liegt.
Und was ist mit den Palästinensern? Sie haben unterschiedliche Vorstellungen von der besten Lösung ihrer Probleme: ein palästinensischer Staat, ein vereinter jüdisch-arabischer Staat, ein islamisches Kalifat, manche bevorzugen sogar eine jüdische Hegemonie! Ich will hier nicht darüber urteilen, welche Lösung sie ihrem Traum von einer “Heimat” näher bringen wird. Aber gemessen am prophetischen Zeugnis sind wir für etwas geschaffen, was die gegenwärtige Ordnung der Dinge einfach nicht erfüllen kann. Jeder Schritt zu mehr Gerechtigkeit und Frieden kann nur wie ein Wegweiser (English: signpost; لافتة, ثُوَّة, صُوَّة, أُعْلُوْمَة, نُصْبَة) sein, der über unsere zerbrochene Welt hinausweist auf eine Wirklichkeit, die nur Gott selbst herbeiführen kann.
Das kommt am Ende. Und was sollen wir in der Zwischenzeit tun? Leider habe ich nicht den Platz, um diese Frage zu beantworten. Vielleicht ergibt sich eine andere Gelegenheit.
Philip Sumpter
hat Kulturanthropologie (BA) und Altes Testament (MA und PhD) studiert. Das Thema seiner Doktorarbeit war theologische Hermeneutik und die Psalmen Davids. Derzeit lebt er in Deutschland, wo er als Dozent für Altes Testament und Arabisch an drei verschiedenen Institutionen in Holland, Deutschland und Amerika (online) arbeitet. Er hat fünf Jahre in Israel gelebt und gearbeitet, hauptsächlich als Teil der arabischen christlichen Community.