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Kant und der Islam – Oder: Die Grenzen des Stolzes

Fethi Meskini

14. August 2025
in #3 Kant, Ausgaben, Autoren, Fethi Meskini
Reading Time: 39 mins read
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„Der Mohammedianism unterscheidet sich durch Stolz, weil er, statt der Wunder, an den Siegen und der Unterjochung vieler Völker die Bestätigung seines Glaubens findet, und seine Andachtsgebräuche alle von der mutigen Art sind.“

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Einleitung:

Obwohl Kant, soweit wir wissen, den Begriff „Islam“ nur ein einziges Mal verwendet hat, nämlich in seinen „Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen“1, einem Text aus seiner vorkritischen Phase, so finden wir in vielen seiner Werke philosophische Kommentare zu den Arabern, ihren Moralvorstellungen, ihrer Religion und ihrem Propheten: In „Versuch über die Krankheiten des Kopfes“2, „Kritik der praktischen Vernunft“,3 „Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“,4 „Von einem neuerdings erhobenen vornehmen Ton in der Philosophie“,5 „Die Metaphysik der Sitten“,6 „Der Streit der Fakultäten“,7 „Anthropologie in pragmatischer Hinsicht“,8 „Vorlesungen über die Metaphysik“9 und „Vorlesung zur Moralphilosophie“.10

Dieser Artikel zielt nicht darauf ab, Kants Islamverständnis als kolonialistisch zu kritisieren oder bei ihm einen Fundamentalismus westlicher oder europäischer Prägung zu diagnostizieren. Einen solchen Ansatz, den wir als “umgekehrten Orientalismus” bezeichnen könnten, finden wir etwa in Ian Almonds “History of Islam in German Thought. From Leibniz to Nietzsche”, welcher der Frage nachgeht, wie die deutsche Ideengeschichte aus muslimischer Perspektive gelesen werden könnte. Insbesondere interessiert ihn, wie der islamische Glaube und die islamische Kultur die deutsche Philosophietradition beeinflusst haben, und wie diese Tradition auf den Islam blickt.11 Hierzu wird Kants angenommenem Eurozentrismus ein “Islamozentrismus” gegenübergestellt, als intellektuelle und somit respektable Form der Rache.

Dieser Artikel zielt auch nicht darauf ab, Kant zu islamisieren12 oder ihn mit Ibn Rushd zu vergleichen, der in unserer modernen Selbstnarration die Rolle des heldenhaften Aufklärers spielt, um ihn als Werkzeug zur Selbstkritik zu nutzen.13

Auch geht es nicht darum, unsere Beziehung zu Kant emotional aufzuladen, ausgehend von der Tatsache, dass er als junger Mann die Basmala, eine arabische Phrase, die im Islam eine wichtige Rolle spielt, auf seine Doktorurkunde geschrieben hat,14 als würde er sich irgendwie zu uns gehörig fühlen, müsse eine metaphysische Schuld begleichen und habe keine andere Möglichkeit gefunden, dies auszudrücken, als diese „posteuropäische“ Signatur auf dieses für ihn so wichtige Dokument zu setzen.

Obwohl Kant, soweit wir wissen, den Begriff ,Islam‘ nur ein einziges Mal verwendet hat, nämlich in seinen ,Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen‘, einem Text aus seiner vorkritischen Phase…

Der Fund seiner Doktorurkunde führte zu einer kontroversen Diskussion in Deutschland, wovon etwa der Artikel „Gehört der Islam zu Deutschland, Herr Immanuel Kant“15 Zeugnis ablegt, der als Antwort auf einen Beitrag in der Financial Times vom 11.03.2011 verfasst worden war. Dort schrieb Marco Schöller, Professor für islamische Geschichte an der Universität Münster, unter dem Titel “Der Kaffee ist ein Teil von Deutschland”: „[…] und ein bisschen Entideologisierung könnte uns in der Islam-Debatte nicht schaden. Der deutsche Philosoph Immanuel Kant setzte über seine Doktorurkunde von 1755 in arabischen Buchstaben die Basmala, die Eröffnungsformel der Koransuren: Im Namen Gottes, des Erbarmers, des Barmherzigen […]“.16

Auch wenn wir heute nicht sicher wissen können, was Kant mit dieser „muslimischen Unterschrift“ gemeint hat, sollten wir uns doch vom Prinzip der wohlwollenden Interpretation aus der analytischen Sprachphilosophie leiten lassen, wenn wir dieser Frage nachgehen. Er hat etwas hinterlassen, das gedeutet werden will, und wir müssen an dieser Deutung arbeiten.

Hierzu sollten wir uns gründlich mit den in den Schriften dieses kosmopolitischen Philosophen reichlich zu findenden Hinweise auf die für uns als Araber oder Muslime relevanten spirituellen Aspekten auseinandersetzen, und zwar im Kontext der „postreligösen Phase“ oder der „Phase nach dem religiösen Staat“, in der wir leben und die mit dem von Ibn Khaldun gut dokumentierten Niedergang des Kalifats ihren Anfang nahm.

In diesem Artikel wollen wir unser altes Selbst im Spiegel von Kant betrachten, eine Begegnung, die ich Anlehnung an den Begriff der Postmoderne als „posthistorisch“ und in gewisser Hinsicht als „postislamisch“ bezeichnen möchte. Ziel dieser metaphysische Entdeckungsreise, in der unser modernes Selbst die posthistorische Rolle übernimmt, ist die Entwicklung „moderner“ Mittel, um mit unserem alten Selbst zu kommunizieren, und somit Möglichkeitsräume zu erschaffen, mit den Quellen, aus denen unser modernes Selbst entspringt, in Beziehung zu treten, ohne uns für sie oder uns zu schämen.

Dieser Artikel zielt nicht darauf ab, Kants Islamverständnis als kolonialistisch zu kritisieren oder bei ihm einen Fundamentalismus westlicher oder europäischer Prägung zu diagnostizieren.

Diese ontologische Scham verhindert, dass wir positiv und gesund mit unserer Vergangenheit umgehen, wie alle anderen „modernen“ Völker es auch tun. Diese „modernistische“ Scham kann nur überwunden werden, wenn wir üben, unserem alten Selbst zu begegnen, denn nur eine „gute Moderne“ ermöglicht es uns, unsere Geschichte neu und „anders“ zu lesen. Die Anführungszeichen um das Wort „anders“ verweisen hier auf seine Verwendung im ursprünglichen Sinn, denn diese „andere“ Geschichte kann nur durch die Reibung am Anderen und den Anderen entstehen. Die Meinung dieser Anderen über uns ist wichtig, weil sie längst Teil unseres kollektives Gedächtnis geworden ist, also in uns wirkt, als Nachhall einer Vergangenheit, aus der unsere neues Selbst entspringt – ohne dass wir etwas dagegen tun könnten. Zudem hat sich die Moderne auf allen Ebenen, sei es metaphysisch, politisch oder technologisch, und an allen Orten durchgesetzt, so dass diese „Anderen“ nun in uns als unser modernes Wir wohnen.

Um diese Zusammenhänge weiter zu untersuchen, gehen wir in zwei Schritten vor, wobei der erste die Überschrift „Kant und die Araber“ und der zweite die Überschrift „Kant und der Islam“ trägt. Diese beiden Analyseschritte schließen wir mit einem Fazit ab.

1. Kant und die Araber. Oder: Über die Völker des Erhabenen

In den „Vorlesungen über Metaphysik“, die Kant zwischen 1775 und 1780 hielt, zählt er die Araber neben den Persern zu den Völkern, welche die Philosophie von den Griechen „entlehnt“17 haben. Allerdings beschränkte sich ihre Rolle nicht auf die passive Übernahme. Kant erkannte in ihren philosophischen Werken die Mission, die Philosophie nach ihrem Aussterben wiederzubeleben: „Endlich verschwand die Cultur auch bei den Römern und es entstand Barbarei, bis die Araber im 6. und 7. Jahrhundert anfingen, sich auf die Wissenschaften zu legen und den Aristoteles wieder in Flor zu bringen. Nun kamen also die Wissenschaften im Occident wieder empor und insbesondere das Ansehen des Aristoteles, dem man aber auf eine sklavische Weise folgte.“18

Für uns ist wichtig, dass Kant diese Aussagen in einer öffentlichen Vorlesung in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts vor deutschen Studenten traf, es sich also somit um eine offizielle Darstellung der Stellung der Araber in der Kulturgeschichte aus europäischer Perspektive handelte. Die Araber seien es gewesen, die die menschliche Kultur nach dem Niedergang Roms vor der Barbarei retteten, indem sie sich den Wissenschaften widmen, was Europa erst später getan habe, nachdem es zuvor „sklavisch“ den Lehren des von den Arabern wiederentdeckten Aristoteles gefolgt sei. Die Araber sind hier universell, und zwar mit ihrem Verstand, nicht mit ihren Ritualen.

Aber was Kant in seiner frühen Schaffensphase über die Araber schrieb, etwa im Jahr 1764 in seinen „Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen“, offenbart uns seine große Sympathie für den Charakter der „Araber“, wenn er ihnen im Rahmen seiner umfassenden Untersuchung zu Spiritualität und Moral im Nationalcharakter der größten Volksgruppen der modernen Menschheit einigen Raum gibt: „Gehen wir mit einem flüchtigen Blicke noch die andere Welttheile durch, so treffen wir den Araber als den edelsten Menschen im Oriente an, doch von einem Gefühl, welches sehr in das Abenteuerliche ausartet.  Er ist gastfrei, großmüthig und wahrhaft; allein seine Erzählung und Geschichte und überhaupt seine Empfindung ist jederzeit mit etwas Wunderbarem durchflochten. Seine erhitzte Einbildungskraft stellt ihm die Sachen in unnatürlichen und verzogenen Bildern dar, und selbst die Ausbreitung seiner Religion war ein großes Abenteuer. Wenn die Araber gleichsam die Spanier des Orients sind, so sind die Perser die Franzosen von Asien. Sie sind gute Dichter, höflich und von ziemlich feinem Geschmacke. Sie sind nicht so strenge Befolger des Islam und erlauben ihrer zur Lustigkeit aufgelegten Gemüthsart eine ziemlich milde Auslegung des Koran“.19

Die Araber sind also eine Volksgruppe, deren Nationalcharakter vom Gefühl des Erhabenen geformt wird, als eine Empfindung von Ehrfurcht, das die Neigung besitzt, sich in Gefahren zu stürzen.

Diese Worte schrieb Kant im Jahr 1764, im vierten Teil seiner „Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen“, welcher den Titel „Von den Nationalcharaktern, in so fern sie auf dem unterschiedlichen Gefühl des Erhabenen und Schönen beruhen“ trägt. Da Kant die Araber mit den Spaniern verglich, könnten uns seine Aussagen über jene einen Schlüssel zur Interpretation seiner Aussagen über diese liefern, und uns so helfen, einzuschätzen, inwiefern seine Position originell, also nicht den damaligen Stereotypen entsprechend ist. In dem erwähnten Kapitel unterscheidet Kant zwischen den Völkern des Schönen und den Völkern des Erhabenen, wobei er die die Italiener und die Franzosen zu den Völker des Schönen zählt, wohingegen die Deutschen, die Engländer und die Spanier Völker des Erhabenen seien.20 Hieraus und aus dem oben gesagten folgt, dass Kant die Araber zu den Völkern des Erhabenen zählt, wobei wir diese Kategorisierung vom Vorwurf des Orientalismus freisprechen können. Das von Edward Said geprägte Konzept zur Beschreibung der Perspektive europäischer Intellektueller auf „den Orient“ wurde von einigen Forschern genutzt um Kants Interpretation des Wesens des Islam anzugreifen: Er habe im Islam das Produkt eines „Volkes“, das seine Spiritualität in „dem Erhabenen“ findet, gesehen.21 Um hierüber diskutieren zu können, müssen wir uns fragen, was mit „dem Erhabenen“ in diesem Text aus dem Jahre 1764 gemeint ist.

„Das Schöne selbst ist entweder bezaubernd und rührend, oder lachend und reizend“, sagt Kant, und beschreibt damit den Charakter der Italiener und Franzosen.22 Über das Erhabene sagt er: „In dem Nationalcharaktere, der den Ausdruck des Erhabenen an sich hat, ist dieses entweder das von der schreckhaften Art, das sich ein wenig zum Abenteuerlichen neigt, oder es ist ein Gefühl für das Edle, oder für das Prächtige. Ich glaube Gründe zu haben, das Gefühl der ersteren Art dem Spanier, der zweiten dem Engländer und der dritten dem Deutschen beilegen zu können.“23

Aus all dem oben Gesagten stellen wir Folgendes fest: Kants Meinung über die Araber enthält keinerlei „kolonialen“ oder theologischen Groll. Vielmehr handelt es sich um eine philosophische Position, die Kant mit derselben Originalität vertritt, mit der er seine Urteile über die das Temperament der großen Volksgruppen definierenden Nationalcharaktere fällt: „Meine Absicht ist gar nicht, die Charaktere der Völkerschaften ausführlich zu schildern, sondern ich entwerfe nur einige Züge, die das Gefühl des Erhabenen und Schönen an ihnen ausdrücken. […] Um deswillen kann der Tadel, der gelegentlich auf ein Volk fallen möchte, keinen beleidigen, wie er denn von solcher Natur ist, daß ein jeglicher ihn wie einen Ball auf seinen Nachbar schlagen kann.“24

Kant ging es hier nicht um eine Kritik des Islams oder des Propheten Mohammed als Person, sondern um eine transzendentale Untersuchung der Vorbedingungen für die Möglichkeit, uns unseres Verstandes zu praktischen Zwecken zu bedienen.

Hier erscheint es hilfreich zu erwähnen, dass die Dualität von „dem Schönen und dem Erhabenen“, die Kant in diesem Artikel und später in seiner „Kritik der Urteilsfähigkeit“ angenommen hat, auch dem klassisch arabisch-islamischen Denken nicht fremd war. So untersuchte etwa Ibn Arabi die „ästhetischen“ und „erhabenen“ Eigenschaften des islamischen Gottes in der Sprache des Korans. Es ist seltsam, dass diese Idee plötzlich im 18. Jahrhundert wieder auftaucht, ohne dass wir dieses ideengeschichtliche Ereignis genau datieren könnten.

Die Araber sind also eine Volksgruppe, deren Nationalcharakter vom Gefühl des Erhabenen geformt wird, als eine Empfindung von Ehrfurcht, das die Neigung besitzt, sich in Gefahren zu stürzen. Dieses Gefühl des Erhabenen ist ein dem Herzen vorauseilendes Gefühl des Gewaltigen, verbunden mit einer tiefen Ehrfurcht, die im Selbstverständnis der Araber verwurzelt ist. Sie suchen stets die Gefahr und streben danach, ihr Daseins in ein allumfassendes Abenteuer zu verwandeln.

Hier dürfen die von Kant diagnostizierte Leidenschaft für das Erhabene keineswegs mit dem kolonialen Vorwurf des 19. Jahrhundert gegen die Araber verwechseln: Sie seien fanatisch und es fehle ihnen an den zur Abstraktion notwendigen Geisteskräften. Das Gefühl des Erhabenen ist ein Element des Nationalcharakters, den die Araber mit den Spaniern, Engländern und Deutschen teilen, und kein nihilistisches, „orientalisches“ Gefühl.

Hier ist es erhellend, eine weiteren Ausschnitt aus Kants Überlegungen zum Charakter der Araber zu zitieren. In seiner Analyse der europäischen Vorstellung von weiblicher Schönheit, die insbesondere mit einer „hübschen Gestalt“ zusammenhängen und durch “circassische und georgische Mädchen” verkörpert seien, schreibt er: “Die Türken, die Araber, die Perser müssen wohl mit diesem Geschmacke sehr einstimmig sein, weil sie sehr begierig sind ihre Völkerschaft durch so feines Blut zu verschönern.”25

Das bedeutet, dass Kant davon ausging, dass sich die ästhetischen Vorstellungen der Araber im Kern mit denen der Europäer decken, und zwar in dem sensiblen Bereich der Idealvorstellung einer schönen Frau, die den Männer durch ihre Schönheit und Anmut den Kopf verdreht.

2. Kant und Islam

2.1 Das Paradies Mohammeds: Zwei verschiedene Interpretationen (1788 und 1793)

Zwischen dem Jahr 1788, in dem er die “Kritik der praktischen Vernunft” veröffentlichte, und dem Jahr 1793, in dem er “Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft” schrieb, äußerte Kant zwei unvereinbar erscheinende Positionen zu der „mohammedanischen Religion”, deren philosophische Bedeutung wir untersuchen müssen.

Die erste dieser Positionen finden wir an prominenter Stelle in der “Kritik der praktischen Vernunft”, im zweiten Buch “Dialektik der reinen praktischen Vernunft”, im zweiten Hauptstück “Von der Dialektik der reinen Vernunft in Bestimmung des Begriffs vom höchsten Gut”.

Die verschiedenen Glaubensarten der Völker geben ihnen nach und nach auch wohl einen im bürgerlichen Verhältniß äußerlich auszeichnenden Charakter, der ihnen nachher, gleich als ob er Temperamentseigenschaft im Ganzen wäre, beigelegt wird.  So zog sich der Judaism seiner ersten Einrichtung nach, da ein Volk sich durch alle erdenkliche, zum Theil peinliche Observanzen von allen andern Völkern absondern und aller Vermischung mit ihnen vorbeugen sollte, den Vorwurf des Menschenhasses zu.

Nachdem Kant die “Kritik der reinen Vernunft” veröffentlicht hatte, wurde ihm klar, dass das Interesse der Vernunft im praktischen Bereich anderer Natur ist als im Bereich der Wissenschaft. Hier geht es nicht mehr um unser Wissen, sondern um unser Wollen, wobei die Frage nach letzterem komplexer ist. Den Willen zu bestimmen bedeutet, sich ein endgültiges Ziel auf Erden zu setzen. Das ist es, was keine Wissenschaft leisten kann. Wenn die theoretische Vernunft aufhört, uns zu lenken, öffnet sich vor uns das gesamte Feld des Denkbaren, das wir nicht wissen können. Hier stellen wir in uns ein nicht-theoretisches Interesse an diesem Möglichkeitsraum fest, bei dessen Erforschung uns keine reine Vernunft helfen kann. Im Bereich der Wissenschaften vermochte es der Verstand noch, unseren Willen zu leiten, um die Welt und unsere Stellung in ihr zu verstehen, stützte sich dabei aber auf „leere Anschauungen des Verstandes“, deren Beseitigung nun das Interesse der praktischen Vernunft ist. Die einzige Möglichkeit, dies zu erreichen, besteht darin dass der praktische Verstand sich selbst kritisch prüft und auf völlig untheoretische Weise Gesetze für sich selbst erlässt.

Das wichtigste Prinzip der kritischen Selbstprüfung ist es, nichts zu akzeptieren, was die theoretische Vernunft kompromittieren würde, da jedes praktische oder moralische Denken, das dies täte, “wirklich so fern dem Interesse der speculativen Vernunft Abbruch thut, daß es die Grenzen, die diese sich selbst gesetzt, aufhebt und sie allem Unsinn oder Wahnsinn der Einbildungskraft preisgiebt.”26

Insofern ist jedes moralische Denken, das den Anforderungen der theoretischen Vernunft insofern widerspricht, als dass es kein rationales Wissen darüber produzieren kann, was außerhalb der möglichen Erfahrung des menschlichen Geists liegt (also Fragen der Seele, der Welt und Gottes), fehlgeleitet und führt dazu, dass die Grenzen, die die theoretische Vernunft zwischen dem, was wir mit unserem menschlichen Verstand wissen und was wir nicht wissen können, festgelegt hat, überschritten werden. Alles außerhalb der menschlichen Natur, was wir mit unserem Verstand zu erkennen suchen, ist also „Unsinn oder Wahnsinn der Einbildungskraft“.

Vor diesem Hintergrund analysiert Kant die sinnliche und imaginäre Bedeutung des Paradieses im Islam und die Idee der „Auflösung in Göttlichkeit“, die in der Illuminationsphilosophie sowie im Sufismus eine wichtige Rolle spielt: “In der That, so fern praktische Vernunft als pathologisch bedingt, d. i. das Interesse der Neigungen unter dem sinnlichen Princip der Glückseligkeit blos verwaltend, zum Grunde gelegt würde, so ließe sich diese Zumuthung an die speculative Vernunft gar nicht thun. Mahomets Paradies, oder der Theosophen und Mystiker schmelzende Vereinigung mit der Gottheit, so wie jedem sein Sinn steht, würden der Vernunft ihre Ungeheuer aufdringen, und es wäre eben so gut, gar keine zu haben, als sie auf solche Weise allen Träumereien preiszugeben. Allein wenn reine Vernunft für sich praktisch sein kann und es wirklich ist, wie das Bewußtsein des moralischen Gesetzes es ausweiset, so ist es doch immer nur eine und dieselbe Vernunft, die, es sei in theoretischer oder praktischer Absicht, nach Principien a priori urtheilt, und da ist es klar, daß, wenn ihr Vermögen in der ersteren gleich nicht zulangt, gewisse Sätze behauptend festzusetzen, indessen daß sie ihr auch eben nicht widersprechen, eben diese Sätze, so bald sie unabtrennlich zum praktischen Interesse der reinen Vernunft gehören, zwar als ein ihr fremdes Angebot, das nicht auf ihrem Boden erwachsen, aber doch hinreichend beglaubigt ist, annehmen und sie mit allem, was sie als speculative Vernunft in ihrer Macht hat, zu vergleichen und zu verknüpfen suchen müsse; doch sich bescheidend, daß dieses nicht ihre Einsichten, aber doch Erweiterungen ihres Gebrauchs in irgend einer anderen, nämlich praktischen, Absicht sind, welches ihrem Interesse, das in der Einschränkung des speculativen Frevels besteht, ganz und gar nicht zuwider ist.”27

Nur die theoretische Vernunft handelt spontan und unverfälscht. Sobald wir aber den Bereich der menschlichen Emotionen und intimen Anwandlungen betreten, ist es die praktische Vernunft, die unserer menschlichen Natur am nächsten kommt.

Wie können wir diese Passage interpretieren? Müssen wir uns weiterhin bei Kant entschuldigen oder Kant entschuldigen, der uns nicht wirklich kennt?

Kant ging es hier nicht um eine Kritik des Islams oder des Propheten Mohammed als Person, sondern um eine transzendentale Untersuchung der Vorbedingungen für die Möglichkeit, uns unseres Verstandes zu praktischen Zwecken zu bedienen. Darum, wie wir unseren Willen in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der menschlichen Freiheit lenken können, insbesondere wenn die Fragestellung der Sinneserfahrung unzugänglich ist. Der Wille ist ein Moment, in dem sich die Seele unter dem Einfluss von Affekten befindet, denen sie nicht widerstehen kann, weil sie aus ihrer Natur entspringen. Dies ist es, was Kant als „pathologisch bedingt“ bezeichnet, bedeutet „pathos“ doch im Griechischen einfach “Emotion”.

Nur die theoretische Vernunft handelt spontan und unverfälscht. Sobald wir aber den Bereich der menschlichen Emotionen und intimen Anwandlungen betreten, ist es die praktische Vernunft, die unserer menschlichen Natur am nächsten kommt, nicht die Vernunft, die das Reich der Wissenschaften regiert. Wissenschaft ist künstlich, aber Emotionen entspringen unserem Naturell. Wenn wir das Selbst damit betrauen würden, unsere emotionalen Angelegenheiten zu regeln, so befänden wir uns in der Lage eines Forschers, der das Glück allein mit den Sinnen oder der Vorstellungskraft zu finden versucht. Daher wählt der Geist unter seinen Fähigkeiten die beste, um mit der Emotion umzugehen, ohne sie zu zerstören oder von ihr versklavt zu werden. Jeder Geist, der sich mit der Erfüllung unserer Wünsche unter der Autorität des sinnlichen Glücksprinzips zufrieden gibt, ist ein pathologischer Geist. Wir bürden dem Geist eine schwere Last auf, wenn wir von ihm verlangen, dass er den Befehlen eines Herrn folgt, der nicht denkt.

Vor dem Hintergrund dieser Beschreibung scheinen die Aussagen der Religion über Himmel und Hölle außerhalb des Rahmens der Vernunft zu liegen und im Bereich der Emotionen zu verorten zu sein. Das heißt, wir können durch unsere Sinne oder unsere Vorstellungskraft weiterhin glücklich sein. Das tiefgreifende Problem, das Kant hier aufwirft, besteht darin, dass allein die Vernunft uns eine Bedeutung von Schicksal vermitteln kann, die nicht dazu führt, die Grenzen zu untergraben, die sich die reine Vernunft im Bereich des Wissens gesetzt hat. Der Unterschied ist hier, dass die Moral, also der Bereich menschlicher Freiheit, kein theoretisches Feld ist, und wir uns dort nicht von der reinen Vernunft leiten lassen können, wie wir es in den Wissenschaften tun. Allerdings dürfen die Gesetze, die wir für unsere Freiheit respektieren müssen, niemals auf “leeren Anschauungen des Verstandes” beruhen oder der Natur des menschlichen Geistes widersprechen.

Die Religion ist also eine allumfassende Prägung, wenn man sie als bürgerliche Beziehung eines Volkes zu seinem äußeren Selbst oder als die Grundlage seines Temperaments ansieht.

Der Verstand tut, wenn er praktisch gebraucht wird, nicht anderes als unsere Möglichkeit, über unsere Freiheit nachzudenken, zu erweitern, und produziert keine wie auch immer gearteten Wahrheiten über uns selbst.

Die Frage lautet also: Wie ist eine Freiheit des Denkens möglich? Was uns Religionen versprechen, das heißt, ein ewiges Leben im Paradies, ist ein spirituelles Ziel, das über allen Zielen der praktischen Vernunft liegt, also jenseits aller Willensanwendungen innerhalb der Grenzen unserer menschlichen Natur.

Vielleicht lag Kants Fehler hier darin, dass er von einem ontologischen Verständnis des Begriffs “Paradies” ausging, als einer Seinsform, in der wir einst leben werden, nach unserem Tod. Wäre Kant ein Zeitgenosse, lebte also nach der sprachwissenschaftlichen Wende, dem “lingustistic turn”, so wäre er von einer narrativen Interpretation des Begriffs ausgegangen: Das Sprechen über das Paradies ist ein sprachlicher Akt, der bei den Menschen Hoffnung auf ein jenseitiges Glück erweckt, und nicht unbedingt die Beschreibung eines realen Ortes, wie es die gewöhnlichen Gläubigen verstehen.

Mutige Gebräuche sind solche, die nicht die Fähigkeiten des Menschen verspotten, sondern ihnen angemessen sind, und danach streben, ihre Immanenz zu bewahren.

Aber Kant hatte seine eigene Art, diese Interpretation, die er 1788 niederschrieb, zu „korrigieren“. Im Jahr 1793 schrieb er in “Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft”, im dritten Stück, “Der Sieg des guten Princips über das böse und die Gründung eines Reichs Gottes auf Erden”: “Die Muhammedaner wissen (wie Reland zeigt) der Beschreibung ihres aller Sinnlichkeit geweihten Paradieses sehr gut einen geistigen Sinn unterzulegen, und eben das thun die Indier mit der Auslegung ihres Vedas, wenigstens für den aufgeklärteren Theil ihres Volks.”28

Hier handelt es sich fast um das gleiche Beispiel, dass er bereits 1788 anführte, allerdings liefert er hier eine wohlwollendere Erklärung. Wie wurde aus dem “Unsinn oder Wahnsinn der Einbildungskraft” ein “sehr gut untergelegter geistiger Sinn”? Wie können wir diesen Wandel in Kants Islamverständnis erklären?

Hierzu hilft es, die Grundfrage seiner “Kritik der praktischen Vernunft” in Erinnerung zu rufen, die folgendermaßen formuliert werden könnte: Inwieweit kann unser Geist mit Gesetzen die Freiheit ordnen, ohne dabei die Grenzen der reinen Vernunft zu untergraben? Es ging also darum, eine Metaphysik der Freiheit zu etablieren, ohne jedoch den Anspruch zu erheben, Erkenntnisse über irgendetwas außerhalb der mit den Sinnen wahrnehmbaren Welt zu produzieren. Daher schien Kant ein hartes Urteil über alle Versuche zu fällen, sinnliches Glück außerhalb der Grenzen des menschlichen Geistes zu etablieren. Dieses Urteil über den Islam lautete im Jahr 1788: Mohammeds Paradies denkt nicht.

Die Grundfrage von “Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft” ist hingegen: Inwieweit kann unsere rationale Moral Techniken der Hoffnung entwickeln, die für unsere menschliche Natur, die durch die Sinnenwelt begrenzt ist, geeignet sind, und uns eine spirituelle Beziehung zu Gott und zu unserer religiösen Tradition ermöglichen, ohne in Fanatismus oder einen Theologie des Krieges zu verfallen?” Kant war im Jahr 1793 der Meinung, dass die “Mohammedaner” ihr Sinnesparadies auf wahrhaft spirituelle Weise interpretierten.

Seine Perspektive auf Religion hatte sich also gewandelt. Sah er in ihr im Jahr 1788 noch einen Wächter, der über die sinnliche Glückseligkeit mit Hilfe einer Jenseitsvorstellung wacht, deutete er sie im Jahr 1793 als einen Begleiter, der durch einen denkenden Glauben Hoffnung möglich macht.

Aus philosophischer Sicht vollzog Kant einen Übergang von einer transzendentalen Untersuchung der apriorischen Bedingungen eines rationalen Glaubens, der keines Glücks bedarf, um tugendhaft zu sein, hin zu einer hermeneutischen Diskussion der spirituellen Bedeutung, die man der religiösen Tradition eines Volkes beimessen kann, einer Tradition, die es in den Rang einer heiligen Institution erhebt. Es war dieser grundlegende Wandel von der Philosophie zur Interpretation, der Kant eine interessanten Flexibilität in Theoriefragen verlieh und seine Perspektive auf das Paradies der „Mohammedaner“ veränderte.

Das ,Almosengeben‘ ist also, wenn es aus ,tugendhafter und zugleich religiöser Gesinnung für Menschenpflicht‘ geschieht, Gottes ,Gnade‘ würdig.

Daher lautet Kants Frage im Jahr 1793: Wer ist der höchste Interpret der historischen Religion? Seine Antwort lautete: Es ist der reine religiöse Glaube. Das ganze Problem liegt hier in der Bedeutung von „rein“, da das Reine das Universelle ist. Laut Kant ist das “wichtigste Merkmal” für die Wahrheit einer jeden Religion ihr “rechtmäßiger Anspruch auf Allgemeinheit”,29 den sie erhebt. Darum geht er nicht davon aus, dass die Offenbarung, welche unter den Menschen kursiert, die von Gott gewollte ist. Vielmehr handelt es sich um eine historische Offenbarung, die in schriftlicher oder mündlicher, narrativer oder institutioneller, also letztendlich menschlicher Form überliefert wurde. Sie ist historisch “wegen des natürlichen Bedürfnisses aller Menschen, zu den höchsten Vernunftbegriffen und Gründen immer etwas Sinnlich=Haltbares, irgend eine Erfahrungsbestätigung u. d. g. zu verlangen.”30 Keine Religion kann ohne die Sinne auskommen, und die Geschichte unseres Selbst ist immer die Geschichte des Gebrauchs unserer Sinne. Insofern ist das Paradies nichts anderes als die Projektion unserer sinnlichen Erfahrung in die Zukunft, da ein Jenseits ohne Sinne in der Tat ohne Sinn für uns wäre.

Eine Offenbarung muss also die Sinne ansprechen, dabei aber eine universelle Sprache verwenden. Hierin besteht die Voraussetzung für das Zusammenleben der Menschen. Universell bedeutet hier auch rational. Die Interpretation von Religion ist für Kant nichts anderes als eine Exegese, die mit den allgemeinen Regeln einer reinen rationalen Religion im Einklang steht. Eine rationale Religion ist eine, die “zur Erfüllung aller Menschenpflichten als göttlicher Gebote (was das Wesentliche aller Religion ausmacht) hinwirkt.”31 Der rationale Glaube hat jedoch keinen vorgefertigten dogmatischen Inhalt, wie es bei den historischen Religionen der Fall ist.

Somit gibt es keinen anderen Weg, um historische Religionen wie den Islam zu verstehen, als den Text als “Offenbarungstext” zu interpretieren. Die Gefahr von Kant liegt hier nicht in den vorgeschlagenen oder angewendeten Interpretationstechniken, sondern in der von ihm zu Grunde gelegten Hermeneutik: Er räumt ein, dass für jede Interpretation des Offenbarungstextes gilt: “Diese Auslegung mag uns selbst in Ansehung des Texts (der Offenbarung) oft gezwungen scheinen, oft es auch wirklich sein, und doch muß sie, wenn es nur möglich ist, daß dieser sie annimmt, einer solchen buchstäblichen vorgezogen werden, die entweder schlechterdings nichts für die Moralität in sich enthält, oder dieser ihren Triebfedern wohl gar entgegen wirkt.”32

Kant war der Philosoph, der diese spirituelle Wende der ,Moderne‘ mit einer Bitterkeit aufzeichnete, die dem europäischen Leser nicht verborgen bleiben kann.

Was Kant hier vorschlägt, ist eine unserem Verstand angemessene interpretative Gewalt, wobei mit “angemessen” gemeint ist, dass diese im Einklang mit der universellen Bedeutung der Moral steht, die unsere menschliche Natur immanent akzeptieren kann. Alle Völker haben diese für ihre historische Existenz zentrale Exegeseleistung vollbracht: “Man wird auch finden, daß es mit allen alten und neuern, zum Theil in heiligen Büchern abgefaßten, Glaubensarten jederzeit so ist gehalten worden, und daß vernünftige, wohldenkende Volkslehrer sie so lange gedeutet haben, bis sie dieselbe ihrem wesentlichen Inhalte nach nachgerade mit den allgemeinen moralischen Glaubenssätzen in Übereinstimmung brachten.”33 Laut Kant gilt dies für die Griechen, die Römer, die Juden, die Inder – und auch die “Mohammedaner”.34

2.2 Eine mutige Religion. Oder: In den Grenzen des Stolzes

Kants Dialog mit dem Islam erreicht seinen Höhepunkt in einer Fußnote des Buches “Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft”, wo er den “Mohammedianism” als eine auf “Stolz” basierende Religion bezeichnet, deren “Andachtsgebräuche alle von der mutigen Art” seien.35

Diesen Position können wir nur richtig verstehen, wenn wir sie mit den Methoden der vergleichenden Religionswissenschaften untersuchen, wenn wir also seine Meinung über den Islam vor dem Hintergrund seiner Aussagen über anderen Religionen, insbesondere das Christentum und das Judentum, lesen. Wir zitieren die entsprechende Textstelle komplett, um den Kontext zu verdeutlichen:

“Die verschiedenen Glaubensarten der Völker geben ihnen nach und nach auch wohl einen im bürgerlichen Verhältniß äußerlich auszeichnenden Charakter, der ihnen nachher, gleich als ob er Temperamentseigenschaft im Ganzen wäre, beigelegt wird.  So zog sich der Judaism seiner ersten Einrichtung nach, da ein Volk sich durch alle erdenkliche, zum Theil peinliche Observanzen von allen andern Völkern absondern und aller Vermischung mit ihnen vorbeugen sollte, den Vorwurf des Menschenhasses zu.“

Der Mohammedanism unterscheidet sich durch Stolz, weil er statt der Wunder an den Siegen und der Unterjochung vieler Völker die Bestätigung seines Glaubens findet, und seine Andachtsgebräuche alle von der muthigen Art sind. Der hinduische Glaube giebt seinen Anhängern den Charakter der Kleinmüthigkeit aus Ursachen, die denen des nächstvorhergehenden gerade entgegengesetzt sind.

Nun liegt es gewiß nicht an der innern Beschaffenheit des christlichen Glaubens, sondern an der Art, wie er an die Gemüther gebracht wird, wenn ihm an denen, die es am herzlichsten mit ihm meinen, aber, vom menschlichen Verderben anhebend und an aller Tugend verzweifelnd, ihr Religionsprincip allein in der Frömmigkeit (worunter der Grundsatz des leidenden Verhaltens in Ansehung der durch eine Kraft von oben zu erwartenden Gottseligkeit verstanden wird) setzen, ein jenem ähnlicher Vorwurf gemacht werden kann: weil sie nie ein Zutrauen in sich selbst setzen, in beständiger Ängstlichkeit sich nach einem übernatürlichen Beistande umsehen und selbst in dieser Selbstverachtung (die nicht Demuth ist) ein Gunst erwerbendes Mittel zu besitzen vermeinen, wovon der äußere Ausdruck (im Pietismus oder der Frömmelei) eine knechtische Gemüthsart ankündigt.

Diese merkwürdige Erscheinung (des Stolzes eines unwissenden, obgleich verständigen Volks auf seinen Glauben) kann auch von Einbildung des Stifters herrühren, als habe er den Begriff der Einheit Gottes und dessen übersinnlicher Natur allein in der Welt wiederum erneuert, der freilich eine Veredlung seines Volks durch Befreiung vom Bilderdienst und der Anarchie der Vielgötterei sein würde, wenn jener sich dieses Verdienst mit Recht zuschreiben könnte.

Was das Charakteristische der dritten Classe von Religionsgenossen betrifft, welche übel verstandene Demuth zum Grunde hat, so soll die Herabsetzung des Eigendünkels in der Schätzung seines moralischen Werths durch die Vorhaltung der Heiligkeit des Gesetzes nicht Verachtung seiner selbst, sondern vielmehr Entschlossenheit bewirken, dieser edlen Anlage in uns gemäß uns der Angemessenheit zu jener immer mehr zu nähern: statt dessen Tugend, die eigentlich im Muthe dazu besteht, als ein des Eigendünkels schon verdächtiger Name,  ins Heidenthum verwiesen und kriechende Gunstbewerbung dagegen angepriesen wird.

Die Frage möglicher philosophischer Beziehungen zwischen Kant und dem Islam ist nicht nur ,unser‘ Problem, sondern eine intellektuelle Fragestellung von globalem Interesse.

Andächtelei (bigotterie , devotio spuria) ist die Gewohnheit, statt Gott wohlgefälliger Handlungen (in Erfüllung aller Menschenpflichten) in der unmittelbaren Beschäftigung mit Gott durch Ehrfurchtsbezeigungen die Übung der Frömmigkeit zu setzen; welche Übung alsdann zum Frohndienst ( opus operatum ) gezählt werden muß, nur daß sie zu dem Aberglauben noch den schwärmerischen Wahn vermeinter übersinnlichen (himmlischer) Gefühle hinzu thut.”36

Nun wollen wir Kants Meinung zum Islam ausgehend von folgender Frage diskutieren: Wie gehen wir heute mit unserem religiösen Stolz um? Können wir ihm Grenzen setzen, damit unser religiöser Mut nicht zur bloßen „Begeisterung“ wird, ohne ein universelles Versprechen zu sein?

Kants philosophische Argumentation geht von einem grundsätzlichen Unterschied zwischen den Menschen aus: Jene, die Gott in dieser oder jener sinnlichen Sache anzubeten suchen, und jenen, die glauben, eine solche Anbetung bestünde allein in der “thätige(n) Gesinnung eines guten Lebenswandels”.37

Jede Religion ist also lediglich Gesinnung, und hat keine anderes Ziel als einen guten Lebenswandel.

Auch wenn es einen großen Unterschied zwischen primitiven Wahrsagern und europäischen Bischöfen gibt, so ist das Prinzip doch das gleiche. Der Glaube ist entweder ein formeller Akt, oder gar nicht. Er drängt uns zu einer besseren Lebensweise hin, nichts weiter, weshalb jedes Glaube, der vorgibt, Wissen außerhalb unseres Verstandes zu begründen, lediglich “Pfaffenthum” ist, eine Form des “Furcht einflößenden Vaters”, dem später der Begriff des “geistlichen Despotismus” zugrunde gelegt wird. Laut Kant kann Tyrannei nie gerechtfertigt sein, selbst wenn sie zu unseren Vorteil ist. Er schreibt, dass wir in “despotisch gebietende, obzwar zu unserm Besten (doch nicht durch unsere Vernunft) uns auferlegte Anordnungen […] keinen Nutzen sehen können”.38 Es gibt also keinen Unterschied zwischen der Tyrannei der Prinzipien und der Tyrannei der Amulette. Denn der eigentliche Unterschied liegt – so Kant – zwischen „gehorsamer Unterwerfung unter eine Satzung als Frohndienst” und „freie Huldigung”, die “dem moralischen Gesetze zu oberst geleistet werden soll”.39

Keine Kultur hat das Recht, von einer anderen Kultur zu verlangen, dass sie einem fremden Aufklärungsmodell folgt.

Insofern bedeutet das Wort “Religion” (religio) nichts anderes als “Gehorsam”, der wiederum zweierlei meinen kann: Entweder die “Furcht Gottes”, in dem Sinne, dass die Beziehung zu Gott eine Schuldbeziehung darstellt, wobei die Schuld in der Pflicht, das moralische Gesetz zu befolgen, besteht. Oder aber die “Liebe Gottes”, in dem Sinne dass der Glaube aus “freier Wahl und aus Wohlgefallen am Gesetze” erfolgt.40 Manche versuchen, diesem übersinnlichen Wesen eine sinnlichen oder metaphorischen Inhalt zu geben, da wir auf es angewiesen sind, um unserer Existenz auf Erden einen letzten Sinn zu geben. Allerdings kann uns unser Verstand diesen Sinn nicht geben, weil “von dem [übersinnlichen Wesen] also die Idee in der speculativen Vernunft für sich selbst nicht bestehen kann”.41

Kant Position lässt sich also in Form von Gegensatzpaaren formulieren: Tugend vor Frömmigkeit, Moral vor Religion, und “Tugendlehre vor der Gottseligkeitslehre”.42 Die Tatsache, dass die Frömmigkeit lediglich abgeleitet oder gar untergeordnet ist, führt dazu, dass sie alleine nicht für die Begründung einer Moral ausreicht. “Die Gottseligkeitslehre kann also nicht für sich den Endzweck der sittlichen Bestrebung ausmachen, sondern nur zum Mittel dienen, das, was an sich einen besseren Menschen ausmacht, die Tugendgesinnung, zu stärken”.43

Das Wesen der Religion besteht darin, jeder menschlichen Tugend eine Art außergewöhnliche „Stärke“ zu verleihen, die die Moral aus keiner anderen Quelle beziehen kann. Dies “Stärkung” ist das Wesen jedes menschlichen Glaubens, so dass die größte Gefahr, die eine Religion von innen bedrohen könnte, darin besteht, dass der “Muth (der das Wesen der Tugend mit ausmacht)” niedergeschlagen und “die Gottseligkeit aber in schmeichelnde, knechtische Unterwerfung unter eine despotisch gebietende Macht” verwandelt würde. [59 = S. 183]

Kant schlägt also vor, das Wesen der Tugend, das Konzept “Mut”, in das Wesen der Frömmigkeit eindringen zu lassen, auf das freier Glaube entstehe. Es geht also um “diesen Muth, auf eigenen Füßen zu stehen”.44 Niemand kann einen Menschen lehren, mutig und frei zu sein, insofern gibt es keinen Mut der irgendjemanden gehorsam wäre. Frei ist nur der Mut, der sich selbst Gesetze geben kann. Die Rolle der Religion besteht darin, den Menschen zu lehren, den Mut durch eine bestimmte Art der „Versöhnung“ mit sich selbst zu „stärken“, im Sinne einer Art „Adoption“ unserer selbst. Also unterschiedet Kant zwischen dem Mut, der “den Pfad zu einem neuen Lebenswandel für uns eröffnet”, und: “die leere Bestrebung, das Geschehene ungeschehen zu machen (die Expiation), die Furcht wegen der Zueignung derselben, die Vorstellung unseres gänzlichen Unvermögens zum Guten und die Ängstlichkeit wegen des Rückfalls ins Böse dem Menschen den Muth benehmen und ihn in einen ächzenden moralisch-passiven Zustand, der nichts Großes und Gutes unternimmt, sondern alles vom Wünschen erwartet, versetzen muß.”45

Genau in diesem Zusammenhang setzt Kant eine lange Fußnote, in der er auf die spirituelle Natur der Mohammedaner eingeht. Diese spirituelle Natur sei Stolz: “Der Mohammedanism unterscheidet sich durch Stolz, weil er statt der Wunder an den Siegen und der Unterjochung vieler Völker die Bestätigung seines Glaubens findet, und seine Andachtsgebräuche alle von der muthigen Art sind.”46 Welcher Zusammenhang besteht zwischen dem “Stolz” und der Tatsache, dass “seine Andachtsgebräuche alle von der muthigen Art” sind?

Interessant ist hier, dass Kant in der Religion einen Scheideweg der “verschiedenen Glaubensarten der Völker” sieht. Die Form des Glaubens ist für ihn also nur insofern interessant, als dass es sich bei ihm um die Eigenschaft eines bestimmten Volkes handele, das ihm “einen im bürgerlichen Verhältniß äußerlich auszeichnenden Charakter” gebe, welche sich zu “Temperamentseigenschaft im Ganzen” wandeln können.

Muslime müssen nicht auf europäische Weise aufgeklärt werden, sondern sie müssen ihren eigenen Weg zur Befreiung des Gewissens finden.

Die Religion ist also eine allumfassende Prägung, wenn man sie als bürgerliche Beziehung eines Volkes zu seinem äußeren Selbst oder als die Grundlage seines Temperaments ansieht. In diesem Sinne erscheint Kant das Judentum als die Religion eines Volkes, das sich den “Vorwurf des Menschenhasses” zugezogen habe. Warum ist das so? Das Judentum sei eine Religion, deren allgemeine Prägung sich in einer Reihe von Ritualen und spirituellen Strafen zeige, die ausdrücklich darauf abzielten, sich „von allen andern Völkern ab[zu]sondern“. In Kants Augen erscheint das Judentum als ein Muster spiritueller Isolation, als eine selbst gewählten Trennung vom Rest der Menschheit. Diese Trennung übernähme die Rolle des “Charakters” oder die der bürgerlichen Beziehung zum Selbst. Daher wird der „Vorwurf des Menschenhasses“ hier nicht negativ bewertet. Vielmehr sei Hass als eine Politik der Selbstabgrenzung die Form der Subjektivität eines Volkes, wodurch es sich von anderen unterscheide. Hass sei die spirituelle Grundstimmung der jüdischen Seele, aber nicht nur im Sinne eines Gefühls, sondern vielmehr im Sinne eines Temperaments, eines universelle Merkmals der Beziehung zum Selbst.

Hier finden wir den entscheidenden Satz über den “Mohammedanism” also die “Religion Mohammeds”. Vom jüdischen „Hass“ kommt er zum mohammedanischen „Stolz“, zu einer Religion, wo alle Andachtsgebräuche “von der muthigen Art“ sind. Aber was meint Kant mit dem Begriff „Mut“? Sollte alles, was mutig ist, von Stolz geprägt sein? Dann müssen wir fragen: Unterscheidet Kant zwischen „Stolz“ und „Arroganz“?

In Kants “Einleitung zur Tugendlehre” in “Die Metaphysik der Sitten” (1797) erklärt er seinen Tugendbegriff. Es handelt sich hierbei nicht um ein “Zugeständnis”, sondern um eine “Fähigkeit”. Der Mensch muss zur Tugend fähig sein, wobei diese Fähigkeit aber nicht darin besteht, seiner Natur gemäß zu handeln, sondern im Gegenteil das zu tun, was ihr widerspricht. Der Mensch muss sich selbst besiegen, um “nämlich das zu können, was das Gesetz unbedingt befiehlt, daß er thun soll.”47

Hinter der Tugend steckt ein Können, das sich aber nur in der Form von Pflicht ausdrücken kann. In diesem Kontext kommt Kant auf den “Mut” zu sprechen, als die edle Fähigkeit zur Pflicht. In diesem Sinne ist der wahre Sieger derjenige, der sich selbst besiegt.

“Nun ist das Vermögen und der überlegte Vorsatz einem starken, aber ungerechten Gegner Widerstand zu thun die Tapferkeit (fortitudo) und in Ansehung des Gegners der sittlichen Gesinnung in uns Tugend (virtus, fortitudo moralis). Also ist die allgemeine Pflichtenlehre in dem Teil, der nicht die äußere Freiheit, sondern die innere unter Gesetze bringt, eine Tugendlehre.”48

Die Religion ,nach‘ der Aufklärung nicht mehr das ist, was sie vorher war.

Nach Kants Ansicht können nur freie Menschen Pflichten haben, aber nicht alles, was ein Mensch sich selbst auferlegt, ist eine moralische Pflicht. Mit moralischer Pflicht ist hier nicht gemeint, anderen einen Zwang aufzuerlegen, sondern ausschließlich der “Selbstzwang”.49 Wenn das „Gesetz“ nur das betrifft, was Kant „unsere äußere Freiheit“ nennt, dann bezieht sich „Tugend“ auf unsere innere Freiheit. Aber ist jeder Akt der Freiheit auch frei?

Nach Kant behandelt jeder Mensch, der seinem Mitmenschen etwas antut, was dessen Willen widerspricht, diesen nicht als Zweck, sondern als Mittel zu etwas, was diesem fremd ist. Hier gibt es einen Widerspruch, der jede Freiheit, die den Menschen als bloßes Mittel nutzt, untergräbt. Laut Kant wäre dies “ein Akt der Freiheit, der doch zugleich nicht frei ist”.50

Nur mutiges Handeln entspringt der freien Freiheit. Deshalb betont Kant immer wieder, es sei „diese sittliche Stärke auch, als Tapferkeit (fortitudo moralis), die größte und einzige wahre Kriegsehre des Menschen ausmacht.“51

In welchem Sinne zeichnen sich mutige Menschen dann durch Stolz aus? Kant fragt beispielsweise, “ob zu großen Verbrechen nicht etwa mehr Stärke der Seele als selbst zu großen Tugenden gehöre.”52

Im Paragraph 42 seiner Tugendlehre in „Die Metaphysik der Moral“ erweiterte Kant seine Definition von Stolz wie folgt:

“Der Hochmuth (superbia und, wie dieses Wort es ausdrückt, die Neigung immer oben zu schwimmen) ist eine Art von Ehrbegierde (ambitio), nach welcher wir anderen Menschen ansinnen, sich selbst in Vergleichung mit uns gering zu schätzen, und ist also ein der Achtung, worauf jeder Mensch gesetzmäßigen Anspruch machen kann, widerstreitendes Laster.

Er ist vom Stolz (animus elatus) als Ehrliebe, d. i. Sorgfalt seiner Menschenwürde in Vergleichung mit anderen nichts zu vergeben, (der daher auch mit dem Beiwort des edlen belegt zu werden pflegt) unterschieden; denn der Hochmuth verlangt vom andern eine Achtung, die er ihnen doch verweigert. – Aber dieser Stolz selbst wird doch zum Fehler und zur Beleidigung, wenn er auch bloß ein Ansinnen an Andere ist, sich mit seiner Wichtigkeit zu beschäftigen.”53

Nun stehen uns die passenden Instrumente zur Verfügung, um Kants Aussage über den Islam, er sei eine mutige, von Stolz geprägte Religion, zu interpretieren. Was meinte er mit dieser Aussage?

Vielleicht erschließt sich uns hier der verborgene Grund dafür, dass Kant den „Islam“ stets als “Mohammedanism” bezeichnet. Vielleicht meinte er damit, dass wir den Islam nur dann verstehen können, wenn wir ihn auf den Charakter seines Gründers zurückführen. Für ihn ist „Mohammed“, wie alle anderen Propheten auch, im Wesentlichen ein moralisches Vorbild oder ein moralisches Ideal, und auf dieser Grundlage müssten wir uns mit seiner Religion befassen. Im Islams ist das „Mohammedanische“ gleichzusetzen mit dem „Moralischen“, und alles andere ist für das Unterfangen, die Idee der Religion in absoluten Begriffen zu definieren, irrelevant.

Hier verstehen wir die Bedeutung des mohammedanischen Stolzes: Er begründete seine Religion nicht auf „Wunder“, die den menschlichen Verstand verspotten (wie es die das Judentum und das Christentum tun), sondern vielmehr auf “Siegen und der Unterjochung vieler Völker”. Es ist also eine Religion, deren Wesen auf den Sieg gegründet ist, ihr ursprüngliches Wesen ist also ein kriegerisches. In diesem Sinne war der Islam vielleicht die erste Religion im „modernen“ Sinne, das heißt, die erste „selbstbezogene“ oder „immanente“ Religion, oder, um einen vielleicht Anstoß erregenden Begriff zu verwenden: Die erste „säkulare“ Religion in der Geschichte des Monotheismus.

Auf diese Weise sollten wir Kants Bemerkung verstehen, dass „seine Andachtsgebräuche alle von der muthigen Art sind.” Mutige Gebräuche sind solche, die nicht die Fähigkeiten des Menschen verspotten, sondern ihnen angemessen sind, und danach streben, ihre Immanenz zu bewahren. Immanenz bedeutet, die Kraft der menschlichen Natur zu nutzen, ohne sich auf Wunder zu verlassen.

In unserer heutigen Existenz gibt es den klassischen Bruch zwischen emotionaler Glaubenserfahrung und guter Lebensführung, zwischen Religion und Moral.

Das ist genau das, was Kant im Wesen der mohammedanischen Religion ausmacht. Sie ist in genau dieser Hinsicht „mohammedanisch“: Eine Religion des Stolzes im Sinne einer auf unsere Menschlichkeit gerichteten „Ehrliebe“, an der wir jede Art von Anbetung messen können.

Aber wir könnten die philosophische Strahlkraft von Kants Islamverständnis erst dann ganz erfassen, wenn wir die schwerwiegenden moralischen Kritikpunkte untersuchen, die er gegen die “innere Form des Christentums” vorbringt. Was den “Mohammedanism” besonders auszeichnet ist sein nicht-christlich Sein in einem sehr präzisen Sinn, den er mit der Bezeichnung “Religion des Stolzes” ausrückt.

Hier ist es nützlich, die negativen Züge des Christentums, die Kant im Vergleich mit dem mohammedanischen Glaubens herausarbeitet, darzustellen:

1. Der christliche Glaube kann wegen „der Art, wie er an die Gemüther gebracht wird“, kritisiert werden.

2. Er ist “vom menschlichen Verderben anhebend”.

3. Er ist “an aller Tugend verzweifelnd”.

4. Er setzt sein “Religionsprincip allein auf die Frömmigkeit (worunter der Grundsatz des leidenden Verhaltens in Ansehung der durch eine Kraft von oben zu erwartenden Gottseligkeit verstanden wird)”.

5. Er richtet sich an Menschen, “die nie ein Zutrauen in sich selbst setzen”.

6. Er richtet sich an Menschen, die in ihrer “Selbstverachtung (die nicht Demuth ist) ein Gunst erwerbendes Mittel zu besitzen vermeinen”.

7. Er ist eine Religion, deren “äußere[r] Ausdruck (im Pietismus oder der Frömmelei) eine knechtische Gemüthsart ankündigt.”54

Somit ist der Islam eine Religion, die nach ihrem Wesen nach oder ihrer spirituellen Natur nicht christlich ist.

Bis jetzt haben wir die Anderen, den Westen, nur ausgeplündert, in spiritueller, philosophischer, wissenschaftlicher und technologischer Hinsicht.

Konkret bedeutet dies, dass er seine Stärke der Art und Weise, wie er “an die Gemüther gebracht wird” verdankt, und seine Anbetungsrituale mutig sind. Er geht von der Annahme aus, dass der der Mensch von Natur aus gut und Tugend eine ihm innewohnende Möglichkeit ist.  Er beruht nicht auf falscher, sondern auf mutiger Frömmigkeit, und richtet sich an stolze Menschen, die sich selbst in Ehren halten und deren Tun sich nicht auf wahrheitsferne Frömmigkeit in „dieser Welt“ beschränkt. Er stützt sich also auf all die Stärken und starken Anlagen, die ihr Wesen in sich trägt. All dies sind moralische Eigenschaften, die Kant ausgehend von apriorischen Überlegungen in der gesamten Menschheit verankern möchte.

Es ist jedoch erwähnenswert, dass Kant später versuchte, sein früheres Urteil auf die spirituelle Natur des Islam, d.h. die Natur des Stolzes, zurückzuführen. Zu diesem Zwecke fügte er seinen diesbezüglichen Ausführungen, die er im Jahr 1793 in einer Fußnote der ersten Ausgabe platzierte, eine erklärende Fußnote in der zweiten Ausgabe im Jahr 1794 hinzu:

“Diese merkwürdige Erscheinung (des Stolzes eines unwissenden, obgleich verständigen Volks auf seinen Glauben) kann auch von Einbildung des Stifters herrühren, als habe er den Begriff der Einheit Gottes und dessen übersinnlicher Natur allein in der Welt wiederum erneuert, der freilich eine Veredlung seines Volks durch Befreiung vom Bilderdienst und der Anarchie der Vielgötterei sein würde, wenn jener sich dieses Verdienst mit Recht zuschreiben könnte. – Was das Charakteristische der dritten Classe von Religionsgenossen [= die Christen] betrifft, welche übel verstandene Demuth zum Grunde hat, so soll die Herabsetzung des Eigendünkels in der Schätzung seines moralischen Werths durch die Vorhaltung der Heiligkeit des Gesetzes nicht Verachtung seiner selbst, sondern vielmehr Entschlossenheit bewirken, dieser edlen Anlage in uns gemäß uns der Angemessenheit zu jener immer mehr zu nähern: statt dessen Tugend, die eigentlich im Muthe dazu besteht, als ein des Eigendünkels schon verdächtiger Name,  ins Heidenthum verwiesen und kriechende Gunstbewerbung dagegen angepriesen wird. – Andächtelei (bigotterie, devotio spuria) ist die Gewohnheit, statt Gott wohlgefälliger Handlungen (in Erfüllung aller Menschenpflichten) in der unmittelbaren Beschäftigung mit Gott durch Ehrfurchtsbezeigungen die Übung der Frömmigkeit zu setzen; welche Übung alsdann zum Frohndienst (opus operatum) gezählt werden muß, nur daß sie zu dem Aberglauben noch den schwärmerischen Wahn vermeinter übersinnlichen (himmlischer) Gefühle hinzu thut.“55

Hier möchte Kant uns darauf aufmerksam machen, dass der Stolz, diese “merkwürdige Erscheinung” des „Mohammedanischen“, kein „Wissen“ ist, das nur ein Volk, aber kein anderes besitzen kann; vielmehr handelt es sich um seine „Verständigkeit auf den Glauben“. Was aber macht ein Volk „verständig“ im dem Sinne, dass es die spirituelle Natur versteht, aus der sein Glaube hervorgegangen ist?  Die Antwort liegt in einem angemessenen Maß von Demut, so dass der Religionsstifter nicht der “Einbildung” erliegt, er allein habe “den Begriff der Einheit Gottes […] erneuert. Und genau das geben die “Mohammedaner” ja nicht vor, weshalb Kant nichts weiter übrig bleibt, als anzuerkennen, dass die Religion des Stolzes “durch Befreiung vom Bilderdienst und der Anarchie der Vielgötterei” in der Tat eine “Veredlung” des Volks bewirkt habe. Diese von Kant gestellt Bedingung ist außerordentlich wichtig, da sie die Unterscheidung zwischen einer Religion des Stolzes und einer Religion der Arroganz ermöglicht.

Hierzu wirft er ein weiteres Mal einen Blick auf die spirituelle Demütigung, die eine als Frohndienst gelebte Religion dem Wesen des Glaubens zufügt, wozu er das Christentum als Beispiel wählt, denn dieses gründe auf “übel verstandene Demuth”, welche sich bei dem Gläubigen in Form einer “Herabsetzung des Eigendünkels in der Schätzung seines moralischen Werths” zeige, im Kontrast zu “der Heiligkeit des Gesetzes”.

Die Araber sind hier universell, und zwar mit ihrem Verstand, nicht mit ihren Ritualen.

Die These, die Kant verteidigt, lautet: Anstatt uns selbst zu verachten angesichts der Heiligkeit des Gesetzes, müssen wir vielmehr „die edle Anlage in uns“ entwickeln, um uns dieser Heiligkeit immer mehr anzunähern bzw. ihrer angemessen zu sein. Die Position des Christentums, Mut sei eine heidnische Haltung, übernimmt Kant also nicht. Vielmehr seien es „Andächtelei“ oder „devotio spuria“, bei der „falsche Frömmigkeit“ an Stelle des Glaubens und „Übung der Frömmigkeit“ an die Stelle der Religion träten, was letztlich nichts anderes als „Frohndienst“ sei.

Somit wird schlussendlich deutlich, dass Kants Sprechen über den Islam oder den “Mohammedanism” lediglich dazu diente, das Christentum zu kritisieren, indem er es mit einer Religion verglich, die die Kraft besitzt, sich selbst auf mutige Weise auszudrücken.56 Dadurch ist der Islam der Wahrung der Menschenwürde näher als jede andere Religion, außer der rein rationalen Religion, die Kant in einer Art hermeneutischen Experiment postislamischer Natur philosophisch begründen wollte.

Fazit: Geschenke für die Menschheit. Oder: Was können wir heute geben?

Auf den letzten Seiten von “Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft” wirft Kant die Frage auf, wie die fünf Hauptgebote im mohammedanischen Glauben philosophisch zu interpretieren seien, was für unsere Argumentation besonders relevant ist:

“Und so hat sich der Mensch in allen öffentlichen Glaubensarten gewisse Gebräuche als Gnadenmittel ausgedacht […] z. B. in der muhammedanischen von den fünf großen Geboten, das Waschen, das Beten, das Fasten, das Almosengeben, die Wallfahrt nach Mekka; wovon das Almosengeben allein ausgenommen zu werden verdienen würde, wenn es aus wahrer tugendhafter und zugleich religiöser Gesinnung für Menschenpflicht geschähe und so auch wohl wirklich für ein Gnadenmittel gehalten zu werden verdienen würde: da es hingegen, weil es nach diesem Glauben gar wohl mit der Erpressung dessen, was man in der Person der Armen Gott zum Opfer darbietet, von andern zusammen bestehen kann, nicht ausgenommen zu werden verdient.“57

Es ist interessant, dass Kant unter den Geboten des mohammedanischen Glaubens das „Almosengeben“ hervorhebt: Allein dieses habe das Potential, ein wirkliches “Gnadenmittel” zu sein. Das “Almosengeben” ist also, wenn es aus “tugendhafter und zugleich religiöser Gesinnung für Menschenpflicht” geschieht, Gottes “Gnade” würdig. Natürlich schreibt Kant vor, dass die Almosen nicht durch “Erpressung” erworben worden sein dürfen, denn diese “in der Person der Armen Gott zum Opfer” darzubieten wäre kein Gabe, sondern Diebstahl.

Kant hatte seine eigene Art, diese Interpretation, die er 1788 niederschrieb, zu ,korrigieren‘.

Nun müssen wir uns als Muslime fragen: Finden wir in unserem tiefsten Inneren etwas, das wir der Menschheit geben können? Welche “Almosen” können wir ohne Zögern oder Scham schenken? Heute ist die westliche Kultur die einzige Quelle spirituellen Reichtums, und wir schöpfen weiterhin aus den Quellen universellen menschlichen Wissens, die uns der Westen zur Verfügung gestellt hat, und Kant ist das prominenteste Beispiel dafür. Bis jetzt haben wir die Anderen, den Westen, nur ausgeplündert, in spiritueller, philosophischer, wissenschaftlicher und technologischer Hinsicht. Wann fangen wir an, “Almosen” nicht nur aus “tugendhafter”, sondern auch aus “religiöser Gesinnung” zu geben? Aber auch: Können Lernen und Wissbegier eine Art universellen Almosengebens sein?

In unserer heutigen Existenz gibt es den klassischen Bruch zwischen emotionaler Glaubenserfahrung und guter Lebensführung, zwischen Religion und Moral. Es scheint so, als besäßen wir keine passenden Werkzeuge, um unsere spirituelle Notlage zu behandeln, bis auf die von Philosophen wie Kant zur Verfügung gestellten.

Allerdings überkommt einen nicht-westlichen oder muslimischen Forscher bald ein unangenehmes Gefühl, wenn er Kant bei seiner Reise durch die Welt der Religionen begleitet und seine kritischen Interpretationsversuche der verschiedenen Arten von Glauben nachvollziehen versucht, die weiterhin wirkmächtig sind. Man hat das Gefühl, als ob mit dem Aufkommen der Neuzeit ein metaphysischer Gefangenenaustausch zwischen uns und dem Westen stattgefunden hätte. Sie gaben uns die Religion des Frohndienstes, das Christentun, und nahmen uns die Religion der freien Menschen, den Islam. Manche sagen, dass sie zu Muslimen ohne Islam, wir aber zu Christen ohne Christentum wurden. An dieser Stelle ist ein Begriffsklärung notwendig: Einerseits haben wir das Konzept der „Unabhängigkeit“ vom Westen im Sinne von “liberty”, was auf das Griechischen „eleutheria“ zurückgeht, das eine Situation beschreibt, in der eine Person, getrennt und unterschieden von anderen, sich selbst tyrannisch beherrscht. Demgegenüber steht das Konzept von „Freiheit“ im Sinne von „freedom“, was von der indoeuropäischen Wurzel „priya“ abgeleitet ist, die „geschätzt” oder “geliebt” bedeutet und sich auf eine Situation bezieht, in der eine Person Teil einer unabhängigen Familie oder eines unabhängigen Stammes ist.58

Kant war der Philosoph, der diese spirituelle Wende der “Moderne” mit einer Bitterkeit aufzeichnete, die dem europäischen Leser nicht verborgen bleiben kann. Für muslimische Leser gibt es hier aber ein eine Form von Einladung, die wir immer noch nicht vollständig verstehen.

Die Frage möglicher philosophischer Beziehungen zwischen Kant und dem Islam ist nicht nur „unser“ Problem, sondern eine intellektuelle Fragestellung von globalem Interesse, die auch „westliche“ Forschern ausgehend von „ihrer“ Perspektive beschäftigt, seit der Islam die Bühne der postmodernen Menschheit mit erstaunlicher Kraft betreten hat. Die Frage lautete: Wie kann die kantische Theorie unter Berücksichtigung des Islams neu interpretiert werden, um ein Zusammenleben zu ermöglichen? Anstelle hier einer (liberalen) Angst zu folgen, hier Gruppen wie den Taliban59 oder dem IS Tür und Tor zu öffnen, sollten wir uns lieber an Gilles Deleuze halten und an der Schaffung eines Kontexts zu arbeiten, der eine Synthese eines breiten Spektrums kultureller Identitäten ermöglicht. Dieser Kontext könnte sich an den Islam in seiner heutigen Bedeutung anpassen, genauso wie sich auch der Islam auf eine positive Weise an die westliche Kultur anpassen könnte. Dann könnten wir vielleicht das Aufkommen „muslimischer Spinozisten” erleben, denen es gelingt, “die Grenzen dessen zu erweitern, was es bedeutet, ein Muslim zu sein“60. Keine Kultur hat das Recht, von einer anderen Kultur zu verlangen, dass sie einem fremden Aufklärungsmodell folgt. Muslime müssen nicht auf europäische Weise aufgeklärt werden, sondern sie müssen ihren eigenen Weg zur Befreiung des Gewissens finden. Dazu gehört jedoch vor allem, dass sie verstehen, dass keine wie auch immer geartete Rückkehr zu den Ursprüngen an die Stelle der Aufklärung treten kann, aber auch, dass die Religion „nach“ der Aufklärung nicht mehr das ist, was sie vorher war.


Quellen:

  1.  I. Kant: Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen (1764); in:  Ausgabe der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 1900,  AA, II, S. 252
  2.  I. Kant: Versuch über die Krankheiten des Kopfes (1764); in:  AA, II, S. 267
  3.  I. Kant: Kritik der praktischen Vernunft (1788); in: AA, V, S. 120
  4.   I. Kant: Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft (1793); in:  AA, VI, S. 111, 137, 184
  5.  I. Kant: Von einem neuerdings erhobenen vornehmen Ton in der Philosophie (1796); in: AA, VIII, S. 390
  6.  I. Kant: Die Metaphysik der Sitten (1797); in: AA, VI, S. 428
  7. I. Kant: Der Streit der Fakultäten (1798); in: AA, VII, S. 50
  8.  I. Kant: Anthropologie in pragmatischer Hinsicht (1798); in: AA, VII, S. 205, 269, 279, 312, 316
  9.  I. Kant: Vorlesungen über Metaphysik; in: AA, XXVIII, S. 123, 128
  10.  I. Kant: Vorlesung zur Moralphilosophie; in: AA, XXVII, S. 719
  11.  Cf. Ian Almond, ‘’Kant, Islam and the Preservation of Boundaries’’, in:  History of Islam in German Thought. From Leibniz to Nietzsche, Routledge, New York, 2010, pp. 29-52, 165-166.
  12.  Malik Mohammad Tariq, A comparative study of kantian and islamic view of human freedom, http://www.allamaiqbal.com/publications/journals/review/apr03/05.htm.
  13.  Saud M.S. Al-Tamamy, Averroes, Kant and the Origins of the Enlightenment. Reason and Revelation in Arab Thought. Library of Modern Middle East Studies, I. B., 2014.
  14.  Bobzin, H., Immanuel Kant und die “Basmala”. Eine Studie zu orientalischer Philologie und Typographie in Deutschland im 17. und 18. Jahrhundert. In: Zeitschrift für arabische Linguistik 25 (1993) 108-131.
  15.  DYBTH / Don’t you belive the hype, “Gehört der Islam zu Deutschland, Herr Immanuel Kant?”
  16.  Marco Schöller, „Der Kaffee ist ein Teil von Deutschland“, in: Financial Times Deutschland von 11.03.2011
  17.  I. Kant: Logik, Physische Geographie, Pädagogikin; in: AA,  IX, S. 27
  18.  ibid, S. 31
  19.  I. Kant: Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen (1764); in: AA, II, S. 252
  20.  ibid
  21.  Battersby, Christine, “Kant’s Orientalism: Islam, ‘race’ and ethnicity”, in:  The Sublime, Terror and Human Difference, Routledge, London and New York, 2007, pp. 68.
  22.  I. Kant: Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen (1764); in: AA, II, S. 243
  23.  ibid, S. 243f
  24.  ibid, S. 243
  25.  ibid, S. 237
  26.  ibid, S. 120
  27.  ibid, S. 121
  28.  I. Kant: Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft (1793); in:  AA, VI, S. 111
  29.  ibid, S. 109
  30.  ibid
  31.  ibid, S. 110
  32.  ibid
  33.  ibid, S. 110f
  34.  ibid, S. 111
  35.  ibid, S. 184
  36.  ibid
  37.  ibid, S. 178
  38.  ibid, S. 179
  39.  ibid, S. 180
  40.  ibid, S.182
  41.  ibid, S. 182f
  42.  ibid, S.183
  43.  ibid, S.183
  44.  ibid, S.183f
  45.  ibid, S.184f
  46.  ibid, S. 184
  47.   I. Kant: Die Metaphysik der Sitten (1797); in: AA, VI, S.380
  48.   ibid, S. 380
  49.   ibid, S. 381
  50.   ibid, S.381
  51.   ibid, S. 405
  52.   ibid, S.384
  53.  ibid, S. 465
  54.  I. Kant: Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft (1793); in: AA, VI, S. 184
  55.  ibid
  56. Nicholas Tampio: Kantian Courage: Advancing the Enlightenment in Contemporary Political Thought, Fordham University Press, 2012.
  57.  I. Kant: Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft (1793); in: AA, VI, S 194
  58.  Nicholas Tampio: Kantian Courage: Advancing the Enlightenment in Contemporary Political Thought, Fordham University Press, 2012, S. 24f
  59.  ibid, S. 173
  60.  ibid, S. 176

Prof. Dr. Fethi Meskini

Er ist ein bekannter tunesischer Akademiker, Dichter, Philosoph und Übersetzer. Er publizierte zahlreiche Bücher und Übersetzungen zum Thema Denken und Philosophie und gewann 2013 den Sheikh Zayed Book Award für seine Übersetzung des Buches „Sein und Zeit“ des deutschen Philosophen Martin Heidegger. Sein Interessenschwerpunkt ist das Studium der Philosophie, insbesondere der deutschen Philosophie. Derzeit ist er Professor für Hochschulbildung im Bereich zeitgenössische Philosophie an der Universität Tunis. Er veröffentlicht seine Forschungsarbeiten auf Arabisch, Deutsch und Französisch.

 

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